Geburtenrate in Südkorea: Stirbt das Land bald aus?
Regierung scheint machtlos:Darum stirbt Südkorea langsam aus
von Johannes Lieber
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Die Geburtenrate in Südkorea ist eine der niedrigsten weltweit. Im Schnitt bekommt eine südkoreanische Frau 0,72 Kinder in ihrem Leben. Dafür gibt es vor allem drei Gründe.
Südkoreas Gesellschaft wandelt sich. Immer weniger junge Frauen wollen Kinder bekommen. Mit fatalen Folgen.
Quelle: Reuters
In Deutschland bekommt eine Frau im Schnitt 1,36 Kinder. Das ist die niedrigste Fertilitätsrate seit 2009, teilte das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung mit. Die ist aber immer noch deutlich höher als in Südkorea. Dort sind es laut der nationalen Statistikbehörde 0,72 Kinder. Das hat drei Gründe.
Grund 1: Viel Arbeit - wenig Kinder
Die Arbeitskultur in Südkorea unterscheidet sich stark von der in Deutschland und anderen europäischen Staaten. Der Beruf nimmt eine erheblich große Rolle im Leben der Südkoreaner und Südkoreanerinnen ein. Das ist einer der Hauptgründe für die niedrige Geburtenrate, sagt der Ökonom Willem Adema gegenüber ZDFheute: "Die Koreaner arbeiten im Schnitt länger als viele andere Nationen." Weiter:
Dazu kommen noch lange Pendelzeiten und die viel verbreitete Gewohnheit, nach der Arbeit noch mit den Kollegen auszugehen, um zu networken. Da bleibt kaum Zeit für Familie.
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Willem Adema, OECD-Experte für Sozialpolitik
Der koreanische Präsident Yoon Suk Yeol wollte die erlaubte Wochen-Arbeitszeit vor einem Jahr sogar auf 69 Stunden erhöhen. Dagegen protestierten besonders junge Menschen. Das Gesetz ist mittlerweile wieder vom Tisch. Vorerst bleibt es bei der 52-Stunden-Woche.
Grund 2: Hohe Kosten für Bildung und Wohnen
Fast jeder fünfte Südkoreaner wohnt in Seoul. Wohnraum ist bei den rund zehn Millionen Einwohnern knapp. Und der, der verfügbar ist, ist sehr teuer. Vielen Paaren fehlt das Geld, um eine eigene Familie zu versorgen, sagt Hannes Mosler, Professor für Ostasienstudien mit dem Schwerpunkt Korea:
Die junge Generation in Südkorea möchte frei und selbstbestimmt leben, was jedoch unter den erdrückenden sozioökonomischen Bedingungen schon ohne Familiengründung eine Herausforderung ist.
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Hannes Mosler, Professor für Ostasienstudien
Neben Südkorea haben auch andere ostasiatische Staaten ein Problem mit einer niedrigen Geburtenrate. Chinesische Frauen bekommen im Schnitt 1,16 Kinder in ihrem Leben. Das ist wohl eine Folge der Ein-Kind-Politik, die aber seit 2015 nicht mehr gilt. Auch Japan (1,30) und Thailand (1,33) haben niedrige Geburtenraten.
Besonders viele Kinder werden in Afrika, südlich der Sahara, geboren. Das Land mit der weltweit höchsten Geburtenrate ist der Niger. 6,82 Kinder bekommt eine Frau hier im Schnitt. Auch Somalia (6,31) und der Tschad (6,25) haben hohe Raten.
Damit die Bevölkerungszahl ohne Zuwanderung konstant bleibt, braucht es eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau. In Deutschland liegt die Zahl seit den 70er-Jahren unter diesem Wert und sinkt immer weiter. Die globale Geburtenrate beträgt 2,3. Noch wächst die Weltbevölkerung also weiter.
Quelle: Weltbank, Bundeszentrale für politische Bildung
Ein weiterer Faktor, der die Geburtenrate in Südkorea nach unten treibt, sind die enormen Kosten für Bildung. Laut der Chosun Ilbo, einer südkoreanischen Zeitung, geben Eltern im Schnitt umgerechnet rund 350 Euro pro Kind im Monat für Bildung aus. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen liegt laut der Statistikbehörde bei umgerechnet rund 3.400 Euro. "Bildung ist in Südkorea ein sehr kompetitives System", so Adema.
Wer sein Kind an die besten Universitäten schicken will, braucht viel Geld für Nachhilfeangebote. Das können sich nicht alle Familien leisten.
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Willem Adema, OECD-Experte für Sozialpolitik
Grund 3: Junge Frauen versus Tradition
Südkoreas Gesellschaft unterliegt aktuell einem grundlegenden Wandel. Hatten 2008 noch über die Hälfte der Südkoreanerinnen in ihren Zwanzigern ein positives Bild von der Ehe, waren es 2022 nur noch 27,5 Prozent. Das geht aus Befragungen der koreanischen Statistikbehörde hervor. Kinder bekommen ist aber noch immer eng mit der Ehe verknüpft. Nur jeder fünfte Koreaner zwischen 20 und 30 Jahren befürwortet nichteheliche Elternschaft.
In den letzten Jahren ist zudem eine radikal-feministische Bewegung in Südkorea entstanden. Das "4B-Movement" hat mehrere Millionen Views auf TikTok. 4B steht für die "Vier Neins" der Frauen in der Beziehung zu Männern. Kein Sex, kein Dating, keine Hochzeit und keine Kinder:
Es kommt […] immer wieder zu brutalen Übergriffen auf Frauen durch Männer rein aus Misogynie.
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Hannes Mosler, Professor für Ostasienstudien
Und weiter: "Da überrascht es nicht, dass Teile der Gesellschaft entsprechend radikal darauf reagieren", so Mosler. Es sei aber unklar, ob die Bewegung auch einen langfristigen Einfluss auf die Geburtenrate habe.
Ein Abschnitt einer neuen extrem schnellen U-Bahn wurde in Südkoreas Hauptstadt Seoul eingeweiht. Der Zug soll die Familiengründung in dem Land mit niedriger Geburtenrate fördern.
Bisher keine Lösung für Rückgang der Geburtenrate
Die südkoreanische Regierung hat in den letzten Jahren besonders mit finanziellen Anreizen versucht, Paare zur Familiengründung zu bewegen. Auch Programme zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurden aufgelegt. Laut Mosler reiche das nicht:
Die tieferliegenden kulturellen und sozialpsychologischen Hürden muss man auch angehen. Das lässt sich jedoch nicht einfach durch Gesetzesänderungen erreichen. Dazu muss ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs angeschoben werden.
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Hannes Mosler - Professor für Ostasienstudien
Den Rückgang der Geburtenrate konnten die bisherigen Maßnahmen zumindest nicht aufhalten.
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