Gershkovich, Politkowskaja & Co.:So gefährlich leben Journalisten in Russland
von Sebastian Ehm
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Wer gegen Putin recherchiert oder berichtet, lebt gefährlich: US-Journalist Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft, russische Reporter fürchten Angriffe auf ihr Leben.
Der 30. November. Das ist der neue Stichtag für Evan Gershkovich. Bis zu diesem Tag wurde seine Untersuchungshaft in Russland verlängert, die jetzt schon 150 Tage andauert. Nur kurz ist der Journalist zu sehen, als er vom Transporter in das Moskauer Stadtteilgericht von Lefortowo geführt wird.
Hoffnung auf baldige Freilassung für Gershkovich gering
Anton Troianowski, Leiter des Moskauer Büros der "New York Times", steht mit Evan Gershkovich über dessen Anwälte und über Briefe in Kontakt. "Es geht Evan den Verhältnissen entsprechend gut. Ich weiß, dass Evan die Unterstützung aus der ganzen Welt und auch aus Deutschland sehr schätzt."
Trotzdem ist die Hoffnung auf eine baldige Freilassung des US-Amerikaners gering. Es könne lange dauern, bis überhaupt der offizielle Prozess startet, indem ihm Spionage vorgeworfen wird, so Troianowski.
US-Amerikaner Evan Gershkovich in Moskau. Archiv.
Quelle: Reuters
Gerüchte über Gefangenenaustausch
Anfang Juli gab es in Moskau Gerüchte, dass es einen Austausch mit einem in den USA im Gefängnis sitzenden Russen geben könnte. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bestätigte am 4. Juli Verhandlungen.
Doch das US-Außenministerium stellte vergangene Woche klar, dass es dazu nichts Neues zu berichten gibt. Das Verhältnis zwischen den USA und Russland scheint auf einem Tiefpunkt.
Dass Journalisten in Putins Russland gefährlich leben, ist bekannt. Immer wieder werden sie angeklagt, festgenommen oder Opfer von Anschlägen. Anna Politkowskaja ist das prominenteste Beispiel. Sie wurde 2006 brutal ermordet.
Verschärfte gesetzliche Regelungen machen es den Behörden leicht, harte Strafen für Journalisten zu verhängen.03.05.2023 | 2:11 min
Russische Journalistin in Deutschland vergiftet?
So sollte es auch Jelena Kostjutschenko ergehen. Wie Politkowskaja schrieb sie für die Zeitung Novaja Gazeta. Weil sie über Russlands Verbrechen in der Ukraine berichtete, wurde sie mit dem Tode bedroht.
Sie floh aus Russland, doch im Oktober 2022 brach sie in Berlin zusammen. Sie war bei der Sicherheitskonferenz in München und hatte auf dem Rückweg plötzlich starke Schmerzen und Schwindel. Sie dachte zuerst, es seien die Nachwirkungen einer Covid-Infektion. Doch nach zahlreichen Untersuchungen hatte eine ihrer Ärztinnen einen schrecklichen Verdacht.
Eine russische Journalistin vergiftet, mitten in Deutschland? Das russische Portal "The Insider" berichtet von zwei weiteren Journalistinnen mit ähnlichen Symptomen wie Jelena Kostjutschenko. Reicht der Arm des russischen Geheimdienstes so weit? Die Staatsanwaltschaft Berlin hat jedenfalls Ermittlungen aufgenommen.
Jelena Kostjutschenko in Angst vor weiteren Anschlägen
Kostjutschenko hat überlebt, sie hatte Glück im Unglück. Trotzdem weiß sie nicht, ob sie an Spätfolgen leiden wird. Sie habe Angst, dass sie nächstes Jahr Krebs bekomme oder ein weiterer Anschlag auf sie erfolgt. Auch deswegen will sie nicht, dass irgendjemand weiß, wo sie sich befindet.
"Wir beschreiben lediglich die Realität. Die Realität wird nicht besser, wenn wir getötet werden", so Kostjutschenko weiter. Doch Wladimir Putin kreiert sich seine eigene Realität. Wer etwas anderes berichtet, kann sich nicht sicher fühlen. In Russland nicht, und nun offenbar nicht einmal mehr im Ausland.
Sebastian Ehm ist Korrespondent im ZDF-Außenstudio Moskau.