Russland in Syrien: Warum Putin nicht eingreift

    Russlands Rolle:Warum Putin in Syrien nicht eingreift

    von Sebastian Ehm
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    Jahrelang intervenierte Russland in Syrien an der Seite Assads. Jetzt scheint Moskau nicht aktiv zu werden. Die Prioritäten liegen anderswo.

    Assad und Putin im Vordergrund, Hubschrauber mit Rebellen im Hintergrund
    Rebellen haben Syriens zweitgrößte Stadt Aleppo erobert. Machthaber Assad ist bei der Gegenoffensive auf die Unterstützung Russlands, Irans und des Iraks angewiesen.02.12.2024 | 31:47 min
    Es ist jetzt über neun Jahre her, seit das Interview des regierungstreuen Journalisten Wladimir Solowjow mit Wladimir Putin am Abend des 12. Oktober ausgestrahlt wurde. Der russische Präsident erläuterte damals seinem Volk, warum ein Militäreinsatz der russischen Armee in Syrien geboten sei.
    Keine Boden- dafür aber Luftstreitkräfte sollten im dort tobenden Bürgerkrieg eingesetzt werden. "Unsere Aufgabe ist es, die legitime Regierung zu stabilisieren und Bedingungen für die Suche nach einem politischen Kompromiss zu schaffen", sagte Putin damals.

    Russland bombardierte systematisch Assad-Gegner

    Was darauf folgte, war keine Suche nach einem politischen Kompromiss, sondern die systematische Bombardierung all derjenigen, die sich gegen Baschar al-Assad stellten. Besonders Zivilisten litten schwer unter den russischen Bomben. Die russische Luftwaffe legte beispielsweise Aleppo in Schutt und Asche, was zehntausende Menschen zur Flucht in Richtung Türkei zwang.
    In der Folge konnte Assad seine Macht im Land weitestgehend wieder herstellen, Russland bekam auf der syrischen Marinebasis Tartus einen eigenen Stützpunkt am Mittelmeer. Ein wertvolles Asset für Moskaus Operationen in der Region, aber auch als Zwischenstopp: beispielsweise für die Gruppe Wagner auf dem Weg nach Afrika.
    Motorradfahrer zeigt "Peace"-Zeichen neben einem Panzer
    Nachdem Aleppo in den letzten Tagen fast vollständig von den Rebellen eingenommen wurde, bewegen sich die Kämpfe mit den Regierungstruppen mittlerweile auf die Stadt Hama zu. 03.12.2024 | 1:38 min

    Das Ziel Russlands: eine Rolle als Großmacht

    Doch für Putin war es noch aus anderen Gründen wichtig, dass Assad seine Macht in Syrien behält. Margarete Klein ist Russland-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Für sie hatte das Eingreifen Russlands damals vor allem zwei Gründe.

    Der Sturz von Assad und damit der Einflussverlust in seinem wichtigsten Partnerland in der Region hätte Moskaus Position im Nahen Osten und damit seine Ambitionen auf eine globale Großmachtrolle massiv beschädigt.

    Margarete Klein, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Putins Prioritäten haben sich verändert

    Zweitens bestand in Moskau die Sorge, dass der Sturz Assads einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen hätte. Ein autoritärer Herrscher verliert seine Macht in Folge des arabischen Frühlings, in dessen Fahrwasser es 2012 auch Großdemonstrationen gegen Putin gegeben hatte. Das konnte Putin nicht dulden und griff ein.
    Jetzt hat Assad in kürzester Zeit das jahrelang umkämpfte Aleppo an die Rebellen verloren und sieht seine Macht im Land minütlich schwinden. Das, wofür Russland jahrelang gekämpft hatte, scheint plötzlich passé. Doch Kreml-Sprecher Peskow machte vergangene Woche deutlich, dass man erwarte, dass Syriens Regierung selbst "die Ordnung schnell wiederherstellen" solle. Das klang nicht nach Unterstützung, sondern eher danach, dass sich die selbsternannte Schutzmacht Assads raushalten will. Moskau hat wohl bereits einige Militärbasen im Land räumen lassen.
    ZDF-Reporterin Golineh Atai zugeschaltet
    Die größte Befürchtung sei, dass Assad sich wieder gezwungen sieht Chemiewaffen oder Bombenattentate einzusetzen, so ZDF-Korrespondentin Golineh Atai.02.12.2024 | 13:03 min
    Laut Margarete Klein liege die Priorität von Putin seit dem Beginn der Invasion auf dem Sieg gegen die Ukraine. "Das hat dazu geführt, dass militärische Kräfte zum Teil aus Syrien abgezogen wurden und Russland sich erhoffte, mit minimaler militärischer Präsenz seine Position im Nahen Osten aufrecht zu erhalten", so Klein. Doch das scheint nicht zu funktionieren.

    Ukraine-Krieg, jetzt Syrien: Putin in der Zwickmühle

    Putin befindet sich jetzt in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite will der Kreml seinen Anspruch, eine globale Ordnungsmacht zu sein, nicht verlieren, auf der anderen Seite scheint die russische Armee zurzeit nicht in der Lage zu sein, größere Operationen in Syrien und der Ukraine gleichzeitig durchzuführen.
    Pikant ist außerdem, dass die Türkei Assads Gegenspieler unterstützt und sich damit offen gegen Putin stellt, der erkennen muss, dass sein Draht zu Recep Tayyip Erdogan schlechter ist, als gedacht. Das russisch-türkische Verhältnis sei durch die Kämpfe belastet, so Margarete Klein.

    Eine weitere Eskalation im bilateralen Verhältnis zwischen Moskau und Ankara wäre nur dann zu erwarten, wenn a) Assad fällt und b) Russlands Präsenz in einer Ordnung nach Assad nicht von der Türkei berücksichtigt würde.

    Margarete Klein, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Bürgerkrieg
    :Syrien: Was der Vorstoß der Rebellen bedeutet

    Rebellen haben die Stadt Aleppo eingenommen und setzen Syriens Machthaber Assad damit unter enormen Druck. Was die Lage bedeutet, erklärt Nahostexperte Gerlach bei ZDFheute live.
    Mitglieder der bewaffneten syrischen Opposition stehen auf einem Militärflugzeug, nachdem sie die Kontrolle über den Militärflughafen Nayrab in der Stadt Aleppo übernommen haben.
    Interview

    Russische Hoffnung auf Schadensbegrenzung

    Derzeit würden sich allerdings beide Seiten um Schadensbegrenzung bemühen. Für Freitag ist ein Treffen der Außenminister von Iran, Türkei und Russland im Rahmen des Astana-Formats angekündigt. Dort wird Russland alle diplomatischen Hebel in Bewegung setzen, um in der Region nicht an Einfluss zu verlieren. Dass der Kreml militärisch eingreift, scheint unwahrscheinlich.
    Sebastian Ehm berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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