"Das ist unser Land": Wie Moskau das Baltikum bedroht
"Das ist unser Land":Wie Moskau die baltischen Staaten bedroht
von Oliver Klein, Nils Metzger, Jan Schneider
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Russland rüstet massiv auf, bedroht das Baltikum. Ex-Präsident Medwedew nennt es abfällig "unsere Provinzen". Kommt es hier irgendwann zu einem Krieg Russlands gegen die Nato?
Drohungen gegen die baltischen Staaten gab es zuletzt auch von Russlands Präsident Wladimir Putin.
Quelle: dpa
Seit Jahren warnen Estland, Lettland und Litauen vor einer Gefahr aus Russland. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die Sorgen im Baltikum noch einmal erheblich gewachsen.
Kein Wunder: Russland rüstet massiv auf und die Forderungen russischer Nationalisten werden lauter, Teile der ehemaligen Sowjetunion wie die baltischen Staaten zurückzuerobern. Eine Landverbindung zur Exklave Kaliningrad wäre für Russland aus strategischer Sicht äußerst wertvoll.
Drohungen direkt aus dem Kreml
Drohungen kommen nicht nur von nationalistischen Kriegsbloggern und Propagandisten, auch aus der russischen Armee und selbst von führenden Politikern aus dem Kreml.
Präsident Wladimir Putin wirft den baltischen Staaten vor, russische Bürger zu vertreiben und sieht durch dieses Vorgehen "die Sicherheit Russlands" gefährdet, berichten staatliche Medien. Auslöser war offenbar die Nachricht, dass die lettische Regierung im Januar Russen ohne lettische Sprachkenntnisse die Abschiebung angedroht hatte. Russland hat vermeintliche Benachteiligung von Staatsbürgern bereits mehrfach als Kriegsgrund herangezogen.
Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew nannte im vergangenen Mai in einem Posting bei X die Länder Estland, Lettland und Litauen "unsere baltischen Provinzen".
Die Heimatliebe im Baltikum ist groß. Doch der Gedanke an eine Wiederholung der russischen Besatzung ist beängstigend, denn ihre Unabhängigkeit möchten sie nicht noch einmal verlieren. 10.08.2023 | 32:52 min
Putins Top-Propagandist Wladimir Solowjow: Eine Eroberung der baltischen Staaten würde nur 15 Minuten dauern, behauptet er.
Quelle: Imago
Im Juli des vergangenen Jahres gab Generaloberst Andrej Mordwitschew (dritthöchster Generalsdienstgrad in der russischen Armee) dem Fernsehmoderator Wladimir Solowjow, einem der wichtigsten Propagandisten des Kreml, ein Interview für einen Dokumentarfilm über den Krieg. In dem Film, der auf dem Staatssender "Russia-1" gezeigt wurde, erklärt Mordwitschew, dass sich der Krieg auf Osteuropa ausdehnen werde. Die Ukraine sei "nur der Anfang".
Der vom Kreml installierte Gouverneur der Region Saporischschja, Jewgeni Balitsky, sagte im vergangenen August in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur "Ria Novosti", Russland solle in die baltischen Staaten einmarschieren und sie besetzen, um die Grenzen des Russischen Reichs vor der Revolution im Jahr 1917 wiederherzustellen. "Das ist unser Land", das "mit der Kraft russischer Waffen" wieder zurückgeholt werden müsse, so Balitsky.
X-User posteten die entscheidenden Ausschnitte des Interviews
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Konkrete Pläne der Eroberung des Baltikum im TV diskutiert
Vor allem in russischen Talkshows ist die Rhetorik aggressiv:
In einer Sendung von Solowjow im Dezember erklärte der russisch-amerikanische Militäranalytiker Stanislav Krapivnik, das russische Imperium wachse wieder. Als nächstes sei das Baltikum dran, das sich ja sowieso schon auf einen Krieg gegen Russland vorbereite. Wie lange ein Krieg gegen die baltischen Staaten dauern könne, fragte Moderator Solowjow noch - gab sich dann aber selbst die Antwort: "15 Minuten."
Schon 2021 erklärte ein Militärexperte in der russischen Talkshow "60 Minuten" ausführlich, wie eine Invasion der drei baltischen Staaten tatsächlich konkret ablaufen würde. "In Tallinn, Riga und Vilnius werden plötzlich höfliche russische Spezialeinheiten auftauchen, die von der örtlichen Bevölkerung freudig begrüßt werden." Alles werde sehr schnell gehen, prophezeite er.
"Wir gewährleisten Abschreckung, indem wir sagen, ein Angriff auf Nato-Gebiet hat Folgen", sagt der Bundesverteidigungsminister.18.12.2023 | 5:47 min
Russland rüstet massiv auf
Die verbale Aufrüstung wird begleitet von einer tatsächlichen Aufrüstung: Noch vor Jahresende sollen zwei ganz neue Armeen aufgestellt werden, kündigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch an. Am Donnerstag erklärte er, dass die Produktion von Artilleriegranaten massiv hochgefahren wurde, da Moskau schneller aufrüsten wolle, als der Westen die Ukraine beliefern könne.
CNN berichtete Anfang des Monats unter Berufung auf westliche Geheimdienstquellen, dass Russland fast dreimal so viel Artilleriemunition herstellt wie die Vereinigten Staaten und Europa zusammen.
Noch vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine trainierte Russland gemeinsam mit Belarus jahrelang bei sogenannten "Sapad"-Manövern einen militärischen Konflikt mit Polen und dem Baltikum, in unmittelbarer Nähe zu den drei baltischen Staaten. Die Übungen seien rein defensiv, beschwichtigte Russland damals. Doch auch der Krieg gegen die Ukraine begann 2022 mit einem angeblichen gemeinsamen Manöver - Russland nutzte Belarus als Aufmarschgebiet und griff auch von dort aus die Ukraine an.
Infografik: Der neue Eiserne Vorhang
Expertin: Kriege dienen Putins Machterhalt
"Putin braucht den Krieg", erklärte die langjährige Moskau-Korrespondentin des Deutschlandfunks, Sabine Adler am Abend in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner. Der Krieg diene seinem Machterhalt, weil er dadurch einen äußeren Feind kreiere und sich die Bevölkerung deshalb hinter Putin versammle.
Die blockierte US-Hilfe für die Ukraine besorgt auch das Nato-Mitglied Litauen. Außenminister Landsbergis warnt im ZDF vor einem "Pearl-Harbor-Moment" für die Nato durch Russland.
Interview
Litauen warnt vor Krieg Russlands gegen die Nato
Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis warnte im Februar in einem Interview mit ZDFheute vor einem "Pearl-Harbor-Moment" für die Nato durch Russland.
Die Nato müsse auf einen Krieg mit Russland vorbereitet sein, sagt auch Politikwissenschaftler Hoffmann. 16.01.2024 | 11:37 min
Angriff Russlands auf Baltikum derzeit unwahrscheinlich
Doch wie realistisch schätzen Geheimdienste und Experten einen russischen Angriff auf das Baltikum tatsächlich ein? Der Bundesnachrichtendienst hält einen Angriff Putins auf die Nato grundsätzlich für möglich - zumindest dann, "wenn wir keine Wehrhaftigkeit zeigen", sagte BND-Präsident Bruno Kahl im Januar.
Im neuesten jährlichen US-Geheimdienstbericht des Office of the Director of National Intelligence (ODNI) heißt es: Russland wolle derzeit "mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit US- und Nato-Streitkräften"´. Moskaus Streitkräfte würden Jahre brauchen, um sich von den umfangreichen Verlusten an Ausrüstung und Personal während des Ukraine-Kriegs zu erholen, schreiben die Autoren. Ähnlich sieht es Gerhard Mangott, Russland-Experte der Universität Innsbruck:
In Polen haben NATO-Truppen eine Flussüberquerung mit Panzern geübt. Das Verteidigungsbündnis hält an seiner Ostflanke derzeit das größte Manöver seit Ende des Kalten Krieges ab. 05.03.2024 | 2:41 min
Während Russland seine Armee wieder regeneriert, müssten die europäischen Nato-Mitglieder die Zeit nutzen, um aufzurüsten, so Mangott. Das Ziel: Eine hohe Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit gegenüber Russland.
Sicher gebe es Ambitionen Putins und seines Führungszirkels, Russland territorial zu erweitern und das historische Russland wieder erstehen zu lassen, erklärt Mangott. "Aber Ambitionen sind das eine. Fähigkeiten sind das andere."
Um eine russische Invasion abzuwehren, befestigen die baltischen Staaten die Nato-Außengrenze mit Hunderten Bunkern und Panzersperren. Kann diese Verteidigung gelingen?