Ein Besuch im Rohingya Flüchtlingslager in Bangladesch

    Frauen leben in Angst:Das Rohingya-Flüchtlingslager in Bangladesch

    Julia Theres Held
    von Julia Theres Held, Bangladesch
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    Seit über sechs Jahren leben fast eine Million Rohingya im größten Flüchtlingslager der Welt in Bangladesch. Die muslimische Minderheit ist rechtlos und staatenlos.

    Auf dem Bild sieht man geflüchtete Rohingya-Frauen, die sich im Flüchtlingscamp in Bangladesch befinden.
    Über sechs Jahren leben fast eine Million Rohingya im Flüchtlingslager in Bangladesh. Die muslimische Minderheit ist rechtlos, staatenlos und von der Welt im Stich gelassen.10.04.2024 | 6:32 min
    Die Anspannung ist deutlich spürbar, als die Wagenkolonne des UN-Welternährungsprogramms die Camp-Zufahrt passiert. Noch kurz vor der Einfahrt werden mit Funkgeräten die Standorte durchgegeben. Noch einmal wird die Sicherheitslage bewertet. Erst dann dürfen wir rein, eine Gruppe deutscher Journalisten. Zu Besuch im größten Flüchtlingscamp der Welt - im Rohingya-Lager von Cox's Bazar im Südosten von Bangladesch.
    Die Situation im Lager gilt als zunehmend angespannt. Bewaffnete Gangs kämpfen um die Vorherrschaft. Es geht um Drogen-, Waffen- und Menschenhandel. In der Nacht vor unserm Besuch gab es wieder einen Toten. Auch die internationalen Hilfsorganisationen, die das Lagerleben seit Jahren am Laufen halten, stehen unter Druck.
    "Die Zahl der Menschen, die wir aufgrund von Schussverletzungen behandeln, ist im letzten Jahr deutlich angestiegen", so Erik Engel von der Organisation Ärzte ohne Grenzen, "Um etwa 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr."

    Viele der Camp-Bewohner trauen sich nicht einmal mehr zu uns zur Behandlung zu kommen.

    Erik Engel, Ärzte ohne Grenzen

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    Rohingya: Geflohen vor der Unterdrückung in Myanmar

    An einem kleinen Obststand an der Straße steht die 29-jährige Sahida. Das braunrote Kopftuch fest um den Kopf gebunden, die Abaya, das traditionelle muslimische Gewand, reicht ihr bis zum Boden. Sie lächelt und scheint sich über unseren Besuch zu freuen. "Journalisten", sagt sie, "kommen immer seltener". Ob aus Angst oder Desinteresse - sie wisse es nicht.
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    Wie die meisten der rund eine Million Rohingya im Lager ist auch Sahida 2017 nach Cox's Bazar gekommen, in diese etwa dreizehn Quadratkilometer große Elendssiedlung aus Wellblech, Bambusstangen und Plastikplanen an der Grenze zu Myanmar. Geflohen nach Jahrzehnten der Unterdrückung und einer brutalen Vertreibungsaktion durch das myanmarische Militär, die die Vereinten Nationen inzwischen als Völkermord bezeichnen.

    Die Soldaten haben unsere Dörfer niedergebrannt. Wir mussten uns im Wald verstecken. Sie haben aus Helikoptern auf uns geschossen. Im Fluss trieben Leichen.

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    Gewalt und Angst im Flüchtlingscamp

    Doch von der Hoffnung, hier in Bangladesch ein neues Leben zu beginnen, ist nicht nur Sahida kaum etwas geblieben.

    Als wir hier ankamen, war ich so froh, so dankbar. Ich dachte das Schlimmste liegt hinter uns. Aber das Leben hier ist ein Alptraum und ich wache einfach nicht auf.

    Sahida, geflohene Rohingya

    Die Kämpfe der bewaffneten Gangs und die nächtlichen Schießereien würden vor allem bei den Frauen und Kindern im Camp zu Retraumatisierungen führen, berichten auch die Hilfsorganisationen. Dazu käme die faktische Rechtlosigkeit im Land. Die Regierung von Bangladesch versuche mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Rohingya langfristig bleiben.
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    Rohingya: Ein Volk ohne Rechte

    Das größte Gefängnis der Welt, nennen sie das Lager hier deshalb. Stacheldraht und Wachtürme umzäunen es. Verlassen dürfen die Bewohner das Camp nur in medizinischen Notfällen. Auch feste Bauten, die Schutz vor Feuern oder Stürmen bieten, sind verboten. Kindern ist der Schulunterricht nur nach dem Lehrplan von Myanmar erlaubt.

    Das Leben der Menschen hier ist völlig perspektivlos. Ohne Bildungsmöglichkeiten und ohne Zukunft.

    Erik Engel, Ärzte ohne Grenzen

    Das führe zu einem dramatischen Anstieg von häuslicher und sexueller Gewalt in den Familien, so der Teamleiter der Hilfsorganisation. Und zu immer mehr Patienten und Patientinnen, die wegen Depressionen und Suizid-Gedanken behandelt werden müssten.

    Situation der Rohingya soll nicht verbessert werden

    Warum die Regierung von Bangladesch die Rohingya nicht besser integriere, fragen wir deshalb den zuständigen Staatsminister in der Hauptstadt Dhaka. Schließlich sei klar, dass sie nicht zurückkehren können, solange die Militärregierung in Myanmar an der Macht sei.
    Doch der Minister reagiert empört. "Die Frage ist absurd", so Mohammad Arafat. Die Regierung von Bangladesch habe weder jetzt noch in Zukunft vor, diese Menschen hier zu integrieren. Mit der Frage würde man Myanmar nur ermutigen, noch mehr Menschen zu schicken.
    Ein Volk ohne Rechte, ohne Perspektive und zunehmend ohne Hoffnung. "Die Welt hat uns vergessen", sagt auch Sahida. Und nach zwei Tagen im Alptraum von Cox's Bazar, haben auch wir Journalisten das Gefühl, sie hat recht.

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