Wie gefährlich sind Putins Atomdrohungen?

    Geheimdienstberichte enthüllen:Wie gefährlich sind Putins Atomdrohungen?

    von Oliver Klein und Jan Schneider
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    Ist ein Angriff Russlands auf die Nato oder ein Atomkrieg realistisch? ZDFheute hat Geheimdienstberichte ausgewertet. 2022 rechneten die USA mit einem Atomangriff auf die Ukraine.

    Eine riesige digitale Plakatwand zeigt den russischen Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin in St. Petersburg.
    Kurz vor der Wahl gibt sich Putin im russischen Staatsfernsehen als Kriegsherr, verbreitet Propaganda über die Ukraine und den Westen. Ein Hinwegtäuschen über die Unruhen im Land?13.03.2024 | 2:35 min
    Er hat es wieder getan - Russlands Präsident Wladimir Putin spricht von der Atombombe. Sein Land sei für einen Atomkrieg bereit, wenn die Staatlichkeit, die Unabhängigkeit oder die Souveränität Russlands in Gefahr stünden, erklärte Putin am Mittwoch in einem Interview mit dem Staatsfernsehen.
    Erst in seiner Rede an die Nation Ende Februar hatte Putin den Westen vor der Schlagkraft der Waffen der Atommacht gewarnt - eine Eskalation und ein Einsatz von Atomwaffen könnten zur "Auslöschung der Zivilisation" führen. "Sie müssen doch wissen, dass wir auch Waffen haben, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können", sagte Putin gerichtet an Frankreichs Präsident Macron, der eigene Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschloss.
    Armin Coerper
    Der russische Präsident gibt sich gelassen, was Militärlieferungen an die Ukraine angeht, droht aber mit einem Atomwaffeneinsatz. Armin Coerper schätzt diese Rhetorik Putins ein. 13.03.2024 | 1:19 min

    Kreml droht regelmäßig mit Atombomben

    Fast jede Woche drohen Kreml-Politiker oder Propagandisten im Staatsfernsehen mit einem konventionellen oder sogar nuklearen Vergeltungsschlag gegen die Nato. Doch wie realistisch ist ein Krieg mit Russland tatsächlich für die Natostaaten - oder gar ein Atomschlag Russlands? Welche Szenarien sehen Geheimdienste, was sagen Militärexperten? ZDFheute mit einem Überblick.
    Erst im Februar war in den USA der neueste jährliche Geheimdienstbericht des Office of the Director of National Intelligence (ODNI) erschienen. Er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Darin heißt es, dass Russland zwar weltweit seine "asymmetrischen Aktivitäten" fortsetzen wird. Gemeint ist damit hybride Kriegsführung, beispielsweise Hacking, Spionage-Aktivitäten oder Desinformationskampagnen. Aber:

    Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit US- und Nato-Streitkräften.

    Bericht des Office of the Director of National Intelligence 

    Russlands hybride Kriegsführung
    Im Rahmen einer hybriden Kriegsführung erzeugt Russland Druck - etwa mit Flüchtlingen an Europas Grenzen, mit Desinformation oder mit einem abgehörten Militärgespräch. 04.03.2024 | 2:23 min
    Moskaus Streitkräfte würden Jahre brauchen, um sich von den umfangreichen Verlusten an Ausrüstung und Personal während des Ukraine-Kriegs zu erholen. Während dieser Zeit würde Moskau zur strategischen Abschreckung verstärkt auf seine nuklearen Fähigkeiten angewiesen sein, heißt es in dem Geheimdienstbericht.

    Wann kommt ein Einsatz von Atomwaffen für Moskau infrage?

    Einen Einblick, wie sehr Russland sein Nukleararsenal als Eckpfeiler seiner Verteidigungspolitik betrachtet, zeigten Dokumente, über die die "Financial Times" im Februar berichtete. In den Geheimpapieren, die der Zeitung vorliegen, wird die Schwelle für den Einsatz taktischer Atomwaffen als sehr viel niedriger angegeben, als Russland dies bisher öffentlich darstellt.
    In den Militärakten, die zwischen 2008 und 2014 erstellt wurden, werden konkrete Kriterien aufgelistet, wann Moskau taktische Atomwaffen einsetzen würde: Ein Grund könnte etwa sein, dass eine größere Zahl gegnerische Truppen in russisches Territorium eindringt oder ein Fünftel der russischen Militär-U-Boote zerstört werden.



    Explosion einer Atombombe mit Atompilz.
    Immer wieder droht Wladimir Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die atomare Abschreckung scheint nicht mehr zu funktionieren.10.10.2024 | 29:05 min
    Die Dokumente sind zwar knapp zehn Jahre alt, aber der Sicherheitsexperte Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, geht im Gespräch mit ZDFheute davon aus, dass sich an den grundlegenden Überlegungen der russischen Militärstrategen seither nicht viel geändert hat. "Die Dokumente bestätigen im Grunde, was wir seit Jahren über die russische Nukleardoktrin wissen", so Kühn.
    • Faktencheck: Wie einsatzfähig sind Putins Atomwaffen?
    Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München gibt allerdings zu bedenken, dass die Entscheidung über einen Atomschlag niemals anhand von numerischen Angaben wie "20 Prozent der russischen Militär-U-Boote wurden zerstört" gefällt werde:

    Putin sitzt nicht mit dem Rechenschieber im Kreml.

    Dr. Frank Sauer, Universität der Bundeswehr

    Oktober 2022: Atomwaffen offenbar kurz vor Einsatz

    Im Herbst 2022 war Russland möglicherweise kurz davor, eine Atombombe im Krieg mit der Ukraine einzusetzen - zumindest bereiteten sich die USA auf genau dieses Szenario vor. Das berichten übereinstimmend US-Medien: In streng geheimen, aber abgehörten Gesprächen des russischen Militärs sei es mehrfach um einen Angriff mit einer taktischen Atombombe gegangen, die Pläne dazu wurden offenbar immer konkreter. Das habe Biden im Oktober 2022 in einem kleinen Kreis bekannt gegeben, schreibt die "New York Times".
    Auch "CNN" berichtet unter Berufung auf hochrangige US-Regierungsbeamte, dass das Weiße Haus zu dieser Zeit mit einem russischen Atom-Angriff in der Ukraine rechnete und sich vorbereitete.



    Experte: Rückeroberung von Krim könnte rote Linie für Russland sein

    Der Zeitpunkt im Oktober 2022 ist kein Zufall. In dieser Phase des Kriegs gelang der Ukraine eine sehr erfolgreiche Gegenoffensive im Gebiet um die Stadt Cherson. Entlang der westlichen Flussseite des Dnepr konnten die ukrainischen Truppen die russische Verteidigungslinie durchbrechen und große Geländegewinne erzielen.
    "In dem Moment, wo die Front kollabiert, wird es heikel", erklärt Kühn. In dieser Lage nutze Russland die Androhung von Atomwaffen als Abschreckung, um seine Gegner zu beeinflussen.

    Nicht jede Drohung ist eine Drohung, der eine Tat folgen muss. Aber sie kann folgen. Das Problem ist, dass man sich in einem Graubereich bewegt und niemand weiß, wo die roten Linien sind.

    Dr. Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)

    Eine Rückeroberung der Krim könnte genauso ein Triggerpunkt sein, der einen Atomwaffeneinsatz heraufbeschwört, so Kühn.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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