Pianist Igor Levit in Tel Aviv: Eine kleine Sekunde Trost

    Pianist zu Gast in Tel Aviv:Igor Levit: Eine kleine Sekunde Trost

    Henriette de Maizière, Redakteurin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.
    von Henriette de Maizière
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    Beethovens langsamer Satz: Pathetique - ein inniges Lied ohne Worte, gespielt von Igor Levit. Er spielt es für Angehörige der von den Hamas entführten Geiseln in Israel.

    Es ist die wohl berühmteste Klaviersonate überhaupt - Beethovens langsamer Satz, die "Pathetique". Igor Levit sagt darüber, es sei eine Sonate, die ein emotionales und körperliches Ereignis sei. Für ihn, sie zu spielen. Und für die, die sie hören.
    Im Saal des Lewinsky Wingate College in Tel Aviv wird es still, als Igor Levit anfängt zu spielen. Er spielt vor Angehörigen der von den Hamas entführten Geiseln in Israel. Er sei aus Deutschland gekommen, um das zu tun, was er kann: Klavierspielen. "Wenn ich etwas machen kann, und sei es für zwei Menschen, dann will ich das tun."

    Ich will Verbundenheit spüren mit meinem Volk, mit meinen Leuten. Deswegen bin ich hier.

    Igor Levit, Pianist

    Frau und Kinder von Zuhörer Prodach von Hamas entführt

    In Deutschland spielt Igor Levit vor ausverkauften Häusern, hier sitzen ihm knapp 100 Menschen im Hörsaal gegenüber. Menschen, deren Seelen verletzt sind, die ihre Angehörigen vermissen seit dem Überfall der radikal-islamischen Hamas am 7. Oktober 2023.
    Menschen wie Avichi Prodach. Er erzählt, die Hamas seien in sein Kibbuz eingedrungen, sie nahmen seine Frau und seine beiden Kinder mit.
    Seine Tochter hätte am 7. Oktober ihren Geburtstag gefeiert. Als er vor ein paar Tagen kurz in sein Haus zurückkehrte, stand auf dem Tisch noch der Kuchen mit den Kerzen. Eine 1 und eine 0. Zehn Jahre, doch die Kerzen wurden nie angezündet, das Geburtstagskind hat nie den Kuchen angeschnitten, die Geschenke sind nicht ausgepackt.
    Für Menschen wie ihn spielt Igor Levit. Und seine Musik, die Töne Beethovens durchfluten das Auditorium, krauchen unter die Haut.

    Das war das erste Mal, dass ich in den letzten Wochen Tränen hatte. Ich habe etwas spüren können und habe ein wenig meiner Männlichkeit ablegen können und eine Traurigkeit zulassen können.

    Avichi Prodach, Angehöriger von entführten Geiseln

    Als Kind deutscher Juden mit Beethoven groß geworden

    Oder Gilad Korgold, der erzählt, als Kind deutscher Juden sei er mit Beethoven, Bach und Schubert groß geworden. Sieben Menschen aus seiner Familie sind von der Hamas entführt worden. Unter anderem sein Sohn, seine Schwiegertochter, sein Enkelsohn, seine Enkeltochter.
    Als Igor Levit Beethoven spielt, spielen auch seine Finger die Partitur mit. Wenn er die Musik höre, könne er ein wenig entspannen.

    Levit schockiert von "Judenhass auf deutschen Straßen"

    Nach Tel Aviv zu fahren, war für Igor Levit beinahe zwingend: "Kein Ereignis hat mich so sehr zum Juden gemacht", sagt er, wie dieses. "Am 7. Oktober wurden Juden ermordet, so viele, wie seit der Shoa nicht mehr - nicht einfach nur Israelis, Juden wurden ermordet."
    Er beklagt, er sehe eine "unerträgliche, schockierende Explosion von Judenhass auf deutschen Straßen" und er sehe gleichzeitig nicht, dass sich die Menschen klar dagegen bekennen. Der Antisemitismus der vergangenen Wochen überrasche ihn nicht. Für ihn - selbst russischer Jude - unerträglich.
    Demo-Antisemitismus
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    In einer Synagoge, so erzählt er, sagte ein Rabbi neulich zu den jungen Leuten der Gemeinde, jeder Jude und jede Jüdin hätte wohl einen Erweckungs-Moment des Jüdischseins. Der 7. Oktober sei wohl seiner.

    Levit: Musik kann eine kleine Sekunde Trost geben

    Am Abend spielt Igor Levit noch in der Lobby von Israels größtem Krankenhaus. Ein Durchgangsort mit Piano wird zur Konzerthalle. Auf Plastikstühlen lauschen Patienten. Krankenschwestern. Menschen, die eigentlich vorbeieilen wollten, halten inne.
    Igor Levit spielt in einem Krankenhaus
    Igor Levit spielt in einem Krankenhaus
    Quelle: ZDF/Henriette de Maiziere

    Das Klavier verstimmt, die umgebenden Geräusche werden laut und doch gibt es einen Moment, der ganz der Musik gehört. Auf die Frage, ob Musik die Welt retten kann, sagt Igor Levit, das habe er nie geglaubt. Aber sie könne eventuell eine kleine Sekunde Trost geben. "Die Welt retten oder die Menschen, das können am Ende nur wir Menschen."

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