"Northern Coasts": Ostsee-Manöver westlicher Streitkräfte

    Manöver westlicher Streitkräfte :"Northern Coasts": Erwartungen an Deutschland

    von Ines Trams
    |

    Die Ostsee - neuer Brennpunkt an der Nordflanke der Nato. Nun führt Deutschland ein Marine-Manöver an, die Erwartungen sind hoch. Doch der eigentliche Kraftakt steht noch bevor.

    Flottillenadmiral Stephan Haisch steht an der Reling des Landungsschiffs USS Mesa Verde und schaut auf die Ostsee. Ein Teil der 30 Schiffe und Boote, die am Manöver "Northern Coasts" teilnehmen, zieht an ihm vorüber auf der glitzernden See vor Riga. Wir sind an der Ostflanke, die es zu verteidigen gilt, so Haisch:

    Dies ist eine Übung mit Wirkung nach innen und nach draußen.

    Stephan Haisch, Flottillenadmiral

    "Wir wollen mit unseren Partnern trainieren, aber das Manöver sendet auch ein Signal der 'readiness', der Bereitschaft und der Wachsamkeit gen Russland", ergänzt Haisch.

    ... wurde 2007 von der Deutschen Marine ins Leben gerufen. Jährlich wechselnd sind Deutschland, Dänemark, Schweden und Finnland verantwortlich. Teilnehmer des Manövers sind diesmal neben Deutschland noch Italien, Frankreich, Finnland, Estland, Dänemark, Kanada, Belgien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen, Schweden und die USA.

    Bei der Übung, die am 9. September startete und noch bis zum 23. September läuft, trainieren etwa 3.200 Soldatinnen und Soldaten aus 14 Ländern, rund 30 Schiffe und U-Boote sowie bis zu 15 Luftfahrzeuge vor der Küste und im Luftraum der baltischen EU- und Nato-Staaten Estland und Lettland. Das deutsche Kommando führt das Manöver vom Führungsstab der Marine in Rostock aus.

    "Northern Coasts" folgt wenige Monate nach "Air Defender", dem größten Verlegemanöver von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato. Beide Übungen sollen die neue Schwerpunktsetzung auf Abschreckung und Bündnisverteidigung unterstreichen.

    Ostsee-Großmanöver: "Fähigkeit zum Angriff"

    "Northern Coasts 23" ist ein internationales Großmanöver in der Ostsee vor der Küste des Baltikums, das größte Seemanöver westlicher Streitkräfte seit langem: Rund 3.200 Soldatinnen und Soldaten aus 14 Ländern beteiligen sich. Es ist das erste Mal, dass die Deutsche Marine ein Manöver dieser Größenordnung plant und führt.
    Bislang lag der Fokus auf dem Management von Krisenherden weltweit und auf Seeraumüberwachung oder Piratenjagd. In diesem Jahr wird nun erstmals ein realistisches Szenario im Rahmen der Bündnisverteidigung geübt. Der Inspekteur der Marine, Jan Christian Kaack, formuliert es so:

    Zur glaubwürdigen Abschreckung gehört auch die Fähigkeit zum Angriff.

    Jan Christian Kaack, Inspekteur der Marine

    Ostsee mit neuer strategischer Bedeutung

    Die Ostsee hat eine neue strategische Bedeutung bekommen mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Für die Nato soll die Bundeswehr Präsenz zeigen im Ostseeraum, auch und gerade als Unterstützung für die baltischen Staaten. Im Kriegsfall müssen die Länder über den Seeweg versorgt werden.
    Die Deutsche Marine - sie ist aus Sicht von Ländern wie Estland und Litauen eine Lebensversicherung. Der russische Angriffskrieg hat einen Marine-Einsatz in heimischen Gewässern wieder möglich erscheinen lassen.
    Entsprechend ist nun das vorrangige Einsatzgebiet der Marine die gesamte Nato-Nordflanke, mit den wichtigen Seeverbindungswegen von den USA nach Deutschland und weiter nach Finnland und ins Baltikum.
    Darauf stellt die Marine nun Ausbildung, Übungen und Ausrüstung ein. "Das 'containment', die Eindämmung Russlands, ist zusehends Teil der Strategie des Westens", sagt Fachjournalist Thomas Wiegold, "entsprechend versucht man, Russland in der Ostsee Paroli zu bieten."

    Das "Nato-Meer": Erwartungen an Deutschland

    Mit dem Betritt Finnlands und dem Fast-Beitritt der Schweden ist die Ostsee nun ein 'Nato-Meer' geworden. Die gesamte geostrategische Lage der Ostsee verändert sich, so Haisch, es ergäben sich ganz neue Operationsmöglichkeiten.
    Eurofighter der NATO über der Ostsee
    Die Ostsee wird immer mehr zum Nato-Gewässer und Russlands Zugänge kleiner. 10.08.2023 | 18:01 min
    Russland hat keine Verbündeten mehr an der Ostsee, es verfügt gerade mal noch über zwei Zugänge zur Ostsee - über St. Petersburg und die russische Enklave Kaliningrad.
    Deutschland hat die größte Marine der Ostsee-Anrainer, entsprechend schaut man auf Deutschland. Doch vermag sie den Erwartungen gerecht zu werden?

    Deutsche Marine mit kleinster Flotte ihrer Geschichte

    Mit etwa 50 Booten und Schiffen verfügt die Deutsche Marine aktuell über die kleinste Flotte ihrer Geschichte. Etliche Einheiten sind gar nicht mehr für einen Seekrieg ausgelegt - von 24 U-Booten gibt es beispielsweise gerade mal noch sechs. Die Rückorientierung auf Landes- und Bündnisverteidigung - ein Kraftakt für die Marine.
    Es fehlt an mehr Schiffen und Booten, es fehlt an Kräften aus der Luft. Die Marineflieger wurden vor Jahren eingestellt, jetzt bräuchte man sie wieder. Oder bewaffnete Drohnen.
    Hans-Peter Bartels (SPD), ehemaliger Wehrbeauftragter des Bundestages und Marine-Kenner listet auf: "Unsere Marine braucht für die Ostsee Drohnen und Seezielflugkörper, die man mobil von Land aus starten kann.

    Unsere Marine braucht für die Ostsee Drohnen und Seezielflugkörper, die man mobil von Land aus starten kann. Auch vielleicht Unterwasser-Drohnen. Dazu eine moderne Minenjagd, bemannt und unbemannt.

    Hans-Peter Bartels (SPD), Marine-Kenner

    Dennoch will man den Erwartungen auch heute bereits entsprechen. Gerade erst hat der Generalinspekteur das Marinekommando Rostock der Nato als Anwärter für ein maritimes Hauptquartier angezeigt.
    Flottillenadmiral Haisch, der in Rostock das künftige Hauptquartier für die Ostsee aufbaut, formuliert es so: "Wir bieten Kooperation, Koordination und Führung. Das wollen wir einbringen."

    Marine-Kenner: "Nie geht alles, was wünschenswert wäre"

    Doch noch ist offen: Ist die Deutsche Marine für diese Aufgabe gerüstet? Sie muss abwägen zwischen Landes- und Bündnisverteidigung und Krisenmanagement in internationalen Gewässern. Sie muss priorisieren. Alles wird nicht gehen.
    "Nie geht alles, was wünschenswert wäre", sagt Bartels, "die Deutsche Marine sollte im Nordatlantik und gegebenenfalls auch in Fernost Beiträge mit moderner Technik leisten können."

    Das heißt vor allem: Beiträge zur U-Boot-Jagd und Beiträge zur Luft- und Raketenabwehr.

    Hans-Peter Bartels (SPD), ehemaliger Wehrbeauftragter des Bundestages

    "Die Idee, schwach bewaffnete spezielle 'Stabilisierungs'-Fregatten zu bauen, war ein Irrweg. Und übrigens erwarten unsere Verbündeten von uns als U-Boot-Nation mehr als sechs U-Boote", ergänzt Bartels.
    Der Spagat zwischen Landesverteidigung und internationaler Krisenabwehr wird nicht durchzuhalten sein. Die "Zeitenwende" - sie muss für die Marine konkreter ausbuchstabiert werden. Und das möglichst bald.

    Putins Russland und der Westen
    :Die russische Ostseeküste: Der Nato ganz nah

    Die russische Exklave Kaliningrad ist umgeben von EU-Ländern. Früher waren die Beziehungen eng. Jetzt wird Russlands Abschottung vom Westen hier besonders deutlich.
    von Phoebe Gaa
    Russland
    mit Video
    Thema

    Mehr zur Nato