Neokolonialismus im Sahel:Niger: Negativbeispiel europäischer Politik
von Thilko Gläßgen
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Niger, bis 1960 französische Kolonie, und der gestürzte Präsident Bazoum, standen eng an der Seite der EU. Zurück kam dafür wenig: Ein Negativ-Beispiel europäischer Politik.
Der Putsch als mahnendes Beispiel für eine fehlgeleitete Politik Europas? Archivbild von Nigers Hauptstadt Niamey.
Quelle: epa
Die jüngere Geschichte Nigers liest sich auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte: Bei den Wahlen 2020/21 tritt der amtierende Präsident Issoufou verfassungsgemäß nicht mehr an und räumt seinen Stuhl für Nachfolger Bazoum. Es ist die erste friedliche Machtübergabe überhaupt.
Bereits unter Issoufou hatte sich Niger stark an der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und der Europäischen Union orientiert. Doch der Putsch zeigt, wie ungleich die Beziehungen zwischen Niger und Frankreich blieben - und ist ein mahnendes Beispiel für eine fehlgeleitete Politik der Europäer.
Niger habe als Stabilitätsanker gegolten, sagt Afrika-Expertin Simone Schnabel:
Niger als Uran-Lieferant Frankreichs
Schon als Niger noch Kolonie war, hatte Frankreich dessen riesige Uranvorkommen entdeckt. Das Metall braucht Frankreich für seine Atomkraftwerke und schürft es durch seinen milliardenschweren Staatskonzern "Orano" in seiner ehemaligen Kolonie. Oder genauer: lässt es schürfen.
Erst im Mai 2023 erneuern Staatskonzern Orano und Niger ein neues Abkommen, welches den Uranabbau bis mindestens 2040 verlängert. Vor Ort verpflichtet sich Orano, Jahresumsatz über 4,2 Milliarden Euro, 40 Millionen Euro in "soziale Projekte" zu investieren.
Als Greenpeace 2010 die Orte Arlit und Akokan in Niger besucht, zeigen sich die Konsequenzen des Uranbergbaus: Dem Bericht zufolge lagen die Strahlungswerte in den Straßen von Akokan 500 mal höher als normalerweise.
In Arlit lagen die Werte in vier von fünf Proben über dem Empfehlungswert der Weltgesundheitsorganisation. Ein Vorwurf der Nigrer: Frankreich neokolonisiere das Land und nehme keine Rücksicht auf Menschen und Natur. So haben bis heute nur 20 Prozent der Nigrer überhaupt Elektrizität.
Wie die deutsche Politik auf Niger blickt:
EU will Geflüchtete vor Sahara-Querung aufhalten
Aufgrund seiner zentralen Lage flüchten viele Menschen aus anderen afrikanischen Ländern via Niger nach Europa. Im Zuge der immer restriktiveren Geflüchtetenpolitik Europas verabschiedet Nigers frankophile Regierung 2015 ein Gesetz, was Milliarden Euro aus der EU in den gebeutelten Haushalt des Landes bringt.
Das Gesetz, ähnlich wie der EU-Türkei-Deal, soll Flüchtende abhalten, nach Europa zu gelangen. Es kriminalisiert ganze Berufszweige. In Agadez, dem letzten Stopp vor der Fahrt durch die Wüste Sahara, macht das Gesetz aus Taxifahrern Schleuser und auch viele Hotels werden geschlossen. Wo vormals Bewegungsfreiheit herrschte, sorgen nun Frankreich und Europa für Unfreiheit.
Warum Menschen die gefährliche Flucht auf sich nehmen:
Die Milliarden für den nigrischen Haushalt kommen bei den Menschen aber nicht an. Noch immer leben zwei von fünf Nigrern unterhalb der Armutsgrenze. Zwar macht Entwicklungshilfe 40 Prozent der Staatseinnahmen aus, aber gerade einmal ein Prozent der Menschen profitiert laut Entwicklungsökonom Prof. Robert Kappel davon: Eine fehlgeleitete Politik Frankreichs, die die EU bedenkenlos unterstützt habe.
Stattdessen habe man in Niger nur die eigene Agenda im Blick gehabt: Migrationsabwehr und Rohstoffausbeutung. Die lokale Bevölkerung profitiert davon nicht. Die Abneigung gegenüber Frankreich und Europa hingegen nimmt zu.
Niger könnte sich Russland zuwenden
Auch wenn die Motivation von Putschistenführer Tiani nicht direkt mit einer Abneigung für Frankreich und den globalen Norden zusammenhängt, zeigt sich einmal mehr: Die Afrika-Politik Frankreichs und der EU ist gescheitert. Europa und der globale Norden haben es schlicht nicht geschafft oder gewollt, dass die Bevölkerung in Niger von der Partnerschaft profitiert.
Mit Rechtsstaatlichkeit und grundlegenden Menschenrechten fremdelt der jetzt aus dem Amt geputschte Präsident und EU-Liebling Bazoum: Kritiker ließ er laut "Freedom House" willkürlich einsperren und bei den Wahlen 2020/21 warf ihm die Opposition Unregelmäßigkeiten vor.
Doch vor allem seine Nähe zu Frankreich brachte ihm starken Gegenwind ein: Militärische Spezialeinheiten, die vorher in Mali stationiert waren, holte er nach Niger. Das sagte längst nicht allen Nigrern zu, denn vielfach fühlte sich die Zivilbevölkerung von den französischen Militärs nicht beschützt, sondern sah sie als bloßen Vorwand, die reichen Ressourcen Nigers auszubeuten. Auch einige Offiziere teilen diese Meinung, unter ihnen offensichtlich die Putschisten selbst.
"Russland braucht Afrika", sagt Afrika-Expertin Julia Grauvogel:
Nun droht mit Niger - nach Mali und Burkina Faso - der nächste Sahelstaat, sich Russland zuzuwenden. Fraglos dürften für Russlands Niger-Politik Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wenig Priorität genießen und stattdessen ebenfalls Rohstoffausbeutung im Vordergrund stehen. Doch auch Frankreich und die Europäische Union schauten zu oft weg, wenn es in Niger um Niger selbst ging und kümmerten sich stattdessen verstärkt um das eigene Wohl.
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