Entwicklungsökonom Kappel: postkoloniale Strategie im Niger
Interview
"Postkoloniale Strategien":Was Frankreich im Niger falsch gemacht hat
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Der Niger galt als stabilste Demokratie in der Sahelzone. Dann kam der Putsch. Die Entwicklung in der Region "könnte brutal werden für den Westen", sagt Ökonom Kappel im Interview.
Ausgerechnet eines der ärmsten Länder ist zum Brennpunkt der Weltpolitik geworden: Warum im Niger die Interessen der EU, der USA, Russlands und Chinas so massiv aufeinanderprallen.
ZDFheute: Ein Putsch auf dem afrikanischen Kontinent ist nichts Ungewöhnliches. Warum ist ausgerechnet dieser aktuelle Putsch in Niger so von Bedeutung?
Robert Kappel: Niger hat aufgrund seiner geographischen Lage eine sehr zentrale Rolle bei der Zuwanderung nach Europa. Und mit dem Putsch fällt die letzte Bastion des Westens in der Sahelzone. In anderen Ländern der Region wie Sudan, Tschad, Mali oder Burkina Faso haben sich bereits Militärregime an die Macht geputscht. Und im Senegal oder der Elfenbeinküste brodelt es.
Das schwächt die Position Frankreichs und der EU, und Russland nutzt diese Situation natürlich aus, um Einfluss zu gewinnen. Einige Länder haben sich im Ukraine-Krieg auch schon auf die Seite Russlands geschlagen.
Quelle: Werner Bartsch
...ist Entwicklungsökonom. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Wirtschaft und Politik afrikanischer Staaten. Er war unter anderem Präsident des Hamburger Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA) und Professor an den Universitäten Hamburg und Leipzig.
ZDFheute: Sie schreiben in Ihrem Blog, es gäbe zunehmend eine anti-post-koloniale Agenda. Was haben Putschisten mit dem Kolonialismus zu tun?
Robert Kappel: Ein Putsch heißt zunächst: Wir selbst übernehmen die Macht in unserem eigenen Land. Das ist in der gesamten Sahelzone ein schleichender Prozess gewesen über die vergangenen 15 bis 20 Jahre, den man in der EU ausgeblendet hat.
Die Sahelzone, in der man bis heute offiziell französisch spricht, hat man vom Westen aus pauschal und überheblich als "Hinterhof Frankreichs" angesehen.
Mit dem Putsch sei der letzte demokratische Partner in der Region weggebrochen, sagt ZDF-Korrespondent Kynast:
ZDFheute: Was meinen Sie mit überheblich?
Robert Kappel:
Gleichzeitig hat Frankreich aber nichts dafür getan, um Niger wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Das hätten die EU-Partnerländer sehen müssen.
Die EU hat Frankreichs Politik in Niger und anderen Ländern Afrikas bedenkenlos unterstützt, ohne genauer hinzuschauen, was Paris da eigentlich treibt. Der geschasste Präsident Bazoum war ein Statthalter Frankreichs in Niger.
Er galt zwar als demokratisch gewählt, gleichzeitig hat er aber Kritik an den Zuständen im Land unterdrückt und Hunderte ins Gefängnis gebracht.
Quelle: ZDF
Niger liegt im Herzen der Sahelzone in Westafrika und besteht zu zwei Dritteln aus Wüste. Das Land kämpft mit dschihadistischer Gewalt, die zur Flucht von Hunderttausenden führte. Der Niger ist einer der letzten Verbündeten des Westens in der Sahelregion. Die Nachbarn Mali und Burkina Faso haben sich anderen Partnern zugewandt, darunter Russland.
Der westafrikanische Binnenstaat Niger hat seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 bereits vier Putsche und zahllose Versuche der Machtübernahme erlebt. Der letzte Versuch einer Absetzung Bazoums war nach Angaben eines nigrischen Beamten im März, als sich der Präsident in der Türkei befand. Die Behörden äußerten sich dazu nie öffentlich. Bazoum war vor zwei Jahren beim ersten friedlichen Machtwechsel des Landes seit der Unabhängigkeit ins Amt gewählt worden.
Quelle: AFP
ZDFheute: Jetzt wird die Entwicklungshilfe aus Europa zurückgeschraubt. Was heißt das für so ein armes Land wie Niger?
Robert Kappel: Davon hat ohnehin nur weniger als ein Prozent der Bevölkerung profitiert. Dabei macht in Niger die Entwicklungshilfe 40 Prozent der Staatseinnahmen und 10 Prozent des BIP aus. In Niger haben beispielsweise 80 Prozent der Menschen keinen Strom und sind damit von den Vorteilen einer modernen Gesellschaft abgekoppelt.
Solche Fehlentwicklungen hätten in der EU schon vorher Mal jemandem auffallen können. Aber man hat in Niger nur die eigene Agenda verfolgt: Migrationsabwehr und Rohstoffausbeutung.
ZDFheute: Sind die Interessen der USA und Chinas ähnlich?
Robert Kappel: Auch China geht es nur um die Rohstoffausbeutung. Die Interessen der USA sind allerdings anders, sie sind vor allem geostrategisch: Die USA wollen den Dschihadismus in Afrika bekämpfen und suchen daher Militärkooperationen in der Region.
Das gelingt ihnen natürlich immer weniger, wenn der Einfluss des Westens schwindet.
Nach dem Militärputsch im Niger drohen westafrikanische Staaten mit Intervention. Mali und Burkina Faso würden das als Kriegserklärung auffassen. Droht ein Krieg?