Ägypten: Für Gaza, aber gegen Flüchtlinge

    Präsident al-Sisis Strategie:Ägypten: Für Gaza, aber gegen Flüchtlinge

    Anna Feist | ZDF-Reporterin in Istanbul
    von Anna Feist
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    Die ägyptische Regierung unterstützt die für heute erstmals erwarteten Pro-Palästina-Proteste. Sie sollen auch ein Signal senden: ein "Nein" zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Gaza.

    Der ägyptische Aktivist Ahmed Douma ruft am 18.10.2023 während einer Demonstration gegen Israel vor dem ägyptischen Journalistenverband Parolen
    Am 18. Oktober fand eine pro-palästinensische Demonstration in Kairo statt.
    Quelle: picture alliance/dpa

    Jordanien, Libanon, Irak - selbst im Oman gingen die Menschen auf die Straße: Pro-palästinensischer Protest ist seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas in vielen arabischen Ländern fast alltäglich geworden.
    Einzig in dem Land, dem westliche Diplomaten eine so große Bedeutung zuschreiben als Vermittler - Ägypten - fehlt der große öffentliche Zuspruch "der palästinensischen Sache" von der Straße. Für heute sind nun erstmals Proteste angesagt. Sie werden unterstützt von der ägyptischen Regierung - und sie könnten groß werden.
    Ägypten: "Nein zur Flüchtlingsfrage"
    "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Stunden und Tagen die Grenze geöffnet wird", so ZDF-Reporterin Anna Feist. Ägypten wolle aber "auf gar keinen Fall palästinensische Flüchtlinge aufnehmen."19.10.2023 | 2:06 min
    Ausgerufen als Signal der "entschiedenen Zurückweisung der barbarischen Angriffe des Besatzungsstaates auf unsere palästinensischen Brüder im Gazastreifen und im Westjordanland" sollen die Proteste aber auch noch eine andere "eindeutige" Botschaft an die Welt senden. Nämlich die, "dass sich das ägyptische Volk zur Verteidigung der Sicherheit und der Interessen seines Heimatlandes verbündet".

    Ägyptens Präsident: Keine Palästinenser auf dem Sinai

    Das ist auch die Antwort an all die westlichen Diplomaten, die seit Beginn des Krieges in Kairo um Gehör buhlen: ein klares "Nein" zur Aufnahme von palästinensischen Flüchtlingen. So spricht der ägyptische Präsident Abd al-Fattah al-Sisi wohl vielen Ägyptern aus der Seele, als er sich an Kanzler Olaf Scholz wendet.

    Wenn die palästinensischen Bürger aus dem Gazastreifen auf den Sinai verlegt würden, dann verlegen wir die Idee vom Widerstand, die Idee vom Kampf von Gaza auf den Sinai. Und dann wird konsequenterweise der Sinai zur Operationsbasis gegen Israel. Und dann wird Israel dort das Recht haben, sich zu verteidigen …

    Abd al-Fattah al-Sisi

    Sein Lösungsvorschlag für die palästinensische Flüchtlingsfrage: "die Negevwüste in Israel". Denn von dort, so argumentiert der ägyptische Präsident, können die Menschen ja dann leichter wieder in den Gazastreifen zurückkehren, sobald Israel seine Operation gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad beendet habe.
    Dem Kanzler dürfte diese Antwort nicht gefallen haben. War er doch von seinem SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert auf die Reise geschickt worden mit dem Auftrag, die ägyptischen Partner zu mobilisieren, um alles zu tun, "was die Aufnahme von Zivilbevölkerung auch auf ägyptischem Territorium möglich macht".

    Al-Sisi punktet mit Angst beim Volk

    Doch mit dieser Absage kann der ägyptische Präsident - trotz der verheerenden Wirtschaftskrise so kurz vor der Präsidentschaftswahl - bei der eigenen Bevölkerung mit der Angst punkten. Angst, dass sie "ihr Land" verlieren könnten, Angst, dass sie einen jahrzehntealten, verfahrenen Konflikt erben könnten.
    Al-Sisi beendet das Thema Scholz gegenüber am Mittwochvormittag mit einer Ansage, der er nur zwei Tage später Taten folgen lassen will. So sagt er: Sollte er, der ägyptische Präsident, die ägyptischen Bevölkerung bitten, auf die Straße zu gehen, dann werde Kanzler Scholz "Millionen Ägypter dort sehen, die ihre Ablehnung dieser Idee zeigen".
    Der für heute geplante Volksaufstand gegen die Ansiedlung palästinensischer Flüchtlinge soll auch Bilder generieren, die dem ägyptischen Präsidenten Futter für den kommenden Tag bieten dürften: Für Samstag hat Ägypten zum "Kairo-Friedensgipfel" gerufen. Hier sollen unter anderem palästinensische Politiker, Katar, die Vereinten Arabischen Emirate, Bahrain, Kuweit, Saudi-Arabien, Irak, Türkei, Zypern, Griechenland, Italien und die Vereinten Nationen - also arabische und westliche Player - über "die Frage der Zukunft der palästinensischen Sache" beraten.
    Und Ägyptens Position, das wohl al-Sisis Kalkül, dürfte nach diesem Protesttag, politisch als auch auf der Straße, eindrücklich hinterlegt sein.

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