Zeugen Jehovas: Spenden, um Gott näher zu sein?

    Zeugen Jehovas:Spenden, um Gott näher zu sein?

    von Marco Irrgang und Maxie Römhild
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    Die Zeugen Jehovas berufen sich immer wieder darauf, nur von freiwilligen Spenden finanziert zu werden. Aber wie freiwillig sind die wirklich? Aussteiger berichten von Druck.

    Die Spur: Geld, Gott und Gehorsam
    Die Zeugen Jehovas fordern ihren Mitgliedern sehr viel ab: unbedingten Gehorsam, ihre Arbeitskraft – und ihr Geld.23.08.2023 | 29:20 min
    Wertpapiere, Immobilien und sogar Versicherungspolicen - all das und mehr kann auf der Website der Zeugen Jehovas quasi mit einem Klick gespendet werden.
    Zwar beruft sich die Religionsgemeinschaft immer wieder darauf, dass Spenden freiwillig seien. Gleichzeitig veröffentlicht sie aber auch Artikel und Videos, in denen unterstrichen wird, wie wichtig finanzielle Unterstützung sei. 
    "Der Tagestext erinnert uns daran, unsere finanziellen Mittel so zu gebrauchen, dass wir uns im Himmel Freunde machen. Obwohl Jehova alles gehört, freut es ihn, wenn er sieht, dass wir für ihn Opfer bringen", erklärt Gajus Glockentin, der in einem Komitee der Leitung sitzt, in einer Morgenandacht.

    Oder wie es unser Tagestext ausdrückt: Wir werden seine Freunde.

    Gajus Glockentin, Verlagskomitee der Zeugen Jehovas

    Wer spendet, kommt Gott näher?  

    Die Zeugen Jehovas grenzen sich mit dem freiwilligen Geben bewusst von den großen Kirchen ab, die in Deutschland eine eigene Steuer erheben. Auch die Zeugen könnten das. Seit ihrer Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vor einigen Jahren steht ihnen ein ganzes Bündel an Privilegien zu, unter anderem steuerliche Erleichterung - und eben die Option auf eine eigene Kirchensteuer.
    170.000 Menschen in Deutschland sind Mitglied bei den Zeugen Jehovas. Woran glauben sie?
    Dass sie diese aber nicht erheben, erklären sich Experten unter anderem mit der bewussten Distanz der Zeugen Jehovas zum Staat. Für die Organisation ist er eine "von Gott geduldete Übergangsordnung" bis der Weltuntergang, "Harmagedon", kommt und das Paradies auf Erden für alle Mitglieder der Zeugen Jehovas einläutet. Eine auserwählte Gruppe soll in den Himmel einziehen, alle Ungläubigen untergehen.
    Bis dahin braucht es Geld. "Der Spendendruck ist signifikant gewachsen", sagt David*. Er war viele Jahre Mitglied bei den Zeugen Jehovas.

    Der Normalo spendet im überschaubaren Bereich. Dann gibt es einige, die sind reich, die spenden mehr, nicht zuletzt auch oft, um mangelnde Leistung im Predigtwerk zu kaschieren.

    David, ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas

    Arbeiten für einen Platz im Paradies

    Mit dem "Predigtwerk" ist die ehrenamtliche Arbeit gemeint, an der sich alle Mitglieder regelmäßig beteiligen müssen, indem sie etwa ihre Zeitschriften verteilen oder die Botschaft von Tür zu Tür verbreiten. Sogar ihre Kirchen, sogenannte Königreichssäle, bauen sie selbst. Viele arbeiten deshalb in ihrem eigentlichen Job nur Teilzeit, um zwischen 30 und 130 Stunden pro Monat für die Gemeinschaft arbeiten zu können. 
    Auch hier geht es um das Ziel hinter der Arbeit, sagt David: "Der Einzelne möchte Opfer bringen, weil er die große Belohnung sieht, am Schluss: das Paradies, das ewige Leben. Aber diese Opfer werden auch in übergroßem Maße gefordert von der Organisation."

    Es gibt Unmengen von Menschen dort, die sich wirklich kasteien und kasteien und kasteien.

    David, ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas

    "Aussteigerpersonen, Aussteigewilligen, wird es nicht leicht gemacht", sagt Michael Utsch über die Zeugen Jehovas:

    "Der deutsche Zweig ist eine große Drehscheibe"

    Das hat für viele Zeugen Jehovas materielle Konsequenzen. Laut einer amerikanischen Studie von 2015 verdienten 48 Prozent der Mitglieder in den USA weniger als 30.000 Dollar pro Jahr. Trotzdem spenden sie. Unterlagen zeigen,  dass in den USA auch schon die Option angeboten wurde, direkt nach Deutschland zu spenden - das Zweigbüro für Zentraleuropa befindet sich im Taunus.
    Mark O'Donnell ist Experte für die Zeugen Jehovas und tritt in Prozessen gegen sie oft als Gutachter auf. Er sagt:

    Wir wissen, dass der deutsche Zweig eine große Drehscheibe für die Zeugen Jehovas ist, und das Geld aus verschiedenen Richtungen dorthin fließt, auch aus dem Inneren.

    Mark O’Donnell, Experte für Zeugen Jehovas

    Warum das so ist und was in Deutschland mit dem Geld geschieht, ist unklar. Denn die Zeugen Jehovas sind als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland nicht verpflichtet, ihre Finanzen offenzulegen.
    *David ist der Cousin von Philipp F., dem Amokläufer von Hamburg. Für "Die Spur" ist er zum ersten Mal offen vor eine Kamera getreten, um über die Tat und seine eigenen Erfahrungen mit den Zeugen Jehovas zu sprechen.
    In der neuen Folge von "Die Spur" untersuchen Marco Irrgang und Maxie Römhild die Finanzen der Zeugen Jehovas. Woher kommt das ganze Geld - und wo fließt es hin? 

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