Was über das "Titan"-Unglück bekannt ist

    Was wir zum Tauchboot wissen:"Titan"-Unglück: Es dauerte nur Millisekunden

    ZDF-Reporterin und Titanic-Expertin Brigitte Saar im Gespräch mit ZDFheute live.
    von Brigitte Saar
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    Der Traum vom großen Abenteuer endet tödlich für die fünfköpfige Besatzung des Tauchboots "Titan". Das wissen wir bislang über das Drama in der Tiefe des Nordatlantiks.

    Das Tauchboot "Titan", wie es Unterwasser von einer Plattform aus startet.
    Rettungstrupps haben tagelang nach dem verschollenen U-Boot Titan gesucht.23.06.2023 | 2:10 min
    Die Tauchkapsel "Titan" wird am Sonntagmorgen vom Versorgungs- und Mutterschiff "Polar Price" aus ins Wasser gelassen. Und macht sich mit fünf Menschen an Bord auf den Weg zum Wrack der "Titanic", das in 3.800 Metern Tiefe liegt. Unter ihnen sind der Chef der Betreiberfirma Ocean Gate, Stockton Rush, und der "Titanic"-Experte Paul-Henry "PH" Nargeolet.

    Die Verbindung zwischen "Titan" und Mutterschiff reißt ab

    Die Kapsel kommuniziert mit dem Mutterschiff nicht über Sprechfunk, sondern tauscht nur Text und Daten aus. Alle Viertelstunde wird automatisch solch ein Datenpaket an die Oberfläche geschickt. Nach einer Stunde und 45 Minuten endet die Kommunikation - der nächste "Datenping" bleibt aus.

    "Titan" implodiert

    Nach vier Tagen, in denen die Welt hofft, die "Titan" finden und die Insassen retten zu können, schickt ein ferngesteuerter Tauchroboter am Donnerstag Bilder von Trümmerteilen der Tauchkapsel zur Oberfläche. Diese liegen ein paar hundert Meter vom Bug des "Titanic"-Wracks entfernt. Diese Bilder lassen nur einen Schluss zu: Die Überlebenssphäre der "Titan" ist implodiert - die Taucher sind verloren.

    Das Militär registriert "Knall" am Sonntag

    Erst in der Nacht auf Freitag erfährt die Öffentlichkeit, dass dieser "Knall" von einem streng geheimen Spezialgerät des US-Militärs aufgezeichnet wurde, mit dem sonst unter anderem russische U-Boote aufgestöbert werden sollen. Kurz nach dem Verschwinden der Kapsel habe man die eigenen Daten durchsucht und eine "akustische Signatur" gefunden, die auf ein "größeres Ereignis" wie eine Explosion oder Implosion hinweist.
    Man habe zwar sofort vermutet, dass es sich dabei um die "Titan" handle und diese als Folge implodiert sein müsse, so das Militär. Weil es aber keine hunderprozentige Sicherheit gab, habe man die Daten zwar an die Einsatzleitung der Rettungsmission weitergeleitet, diese aber nicht öffentlich gemacht, um die Such-Mission nicht zu gefährden.

    Überreste der "Titan" am Meeresboden verstreut

    Die Überreste der "Titan" werden von dem ROV ("Remotely Operated Vehicle"= ferngesteuertes Fahrzeug) verstreut auf dem Meeresboden gefunden. Die US-Küstenwache spricht am Donnerstag von fünf separaten Stellen, an denen identifizierbare Bauteile liegen, darunter die spitz zulaufende Kunststoffabdeckung des Tauchboothecks und die beiden metallenen Halbkugeln, mit denen der zylindrische Druckkörper vorne und hinten abgeschlossen war.
    Das macht es wahrscheinlich, dass die "Titan" nicht unkontrolliert auf dem Meeresboden aufgeschlagen ist und erst dort zerstört wurde, sondern schon ein paar hundert Meter höher. Die schweren Trümmer, wie die Halbkugeln, sanken von der Unglücksstelle weiter oben in der Wassersäule weitgehend senkrecht zu Boden, andere Teile trudeln in der Wassersäule nach unten und kommen - je nach Strömung - leicht abgetrieben am Boden des Atlantiks an.

    Die vermissten Insassen sind sofort tot

    In einer Tiefe, wie der des Wracks der "Titanic", schießt das Wasser bei einem Riss im Druckkörper in Millisekunden ins Innere; es bleibt keine Zeit zu reagieren. Die Taucher sind nicht erstickt, sondern werden von den Wassermassen zerquetscht, und zwar so schnell, dass sie dies nicht mehr bewusst erlebt haben können. Dies ist möglicherweise eine kleine, tröstliche Fußnote.

    Kritik am Kapseldesign

    Kritik an der Bauart der Kapsel gibt es schon vor der Indienststellung vor drei Jahren. Insbesondere die Tatsache, dass die "Titan" nicht von unabhängiger Stelle überprüft und für die gewünschte Tauchtiefe von bis zu 4.000 Metern zertifiziert wird, wiegt in der Rückschau schwer.
    Erfahrene Taucher äußern Bedenken an der Grundkonstruktion: Denn anders, als bei den anderen Tiefsee-Kapseln, die bisher zur "Titanic" getaucht sind, hat der Druckkörper der "Titan" die Form einer Röhre und nicht einer Kugel. Der Druck - bis zu 400 Kilogramm pro Quadrat-Zentimeter - wird dadurch nicht so gleichmäßig verteilt.
    Und das Material ist radikal anders als bei früheren Kapseln: Statt aus Metall (Titan oder Nickel-Stahl) wird die Röhre aus Kohlefasern gewickelt, in vielen Schichten und etwa 13 Zentimeter dick. Die Firma OceanGate lässt sich von all ihren zahlenden Kunden vor der Expedition unterschreiben, dass diese wissentlich in ein experimentelles Tauchboot einsteigen - und man auch im Todesfall nicht hafte.

    Mikrobrüche der Fasern des Druckkörpers könnten Schwachstelle gewesen sein

    Welcher Teil des Druckkörpers die Schwachstelle ist, kann man noch nicht sagen, vielleicht auch nie herausfinden. Sollte das Mittelsegment des Druckkörpers aus gewickelten Kohlenstofffasern einen Riss bekommen haben, wäre eine Theorie, dass die Kapsel bei der In-Dienst-Stellung 2021 grundsätzlich dem Wasserdruck von 4.000 Metern standhalten konnte, sich aber durch die Tauchgänge nach und nach eine Art Materialermüdung eingestellt hat.
    In der Infografik wird gezeigt, wie tief das Tauchboot "Titan" im Vergleich zum Menschen und Militär-U-Booten tauchen kann. Der Mensch kann in speziellen Druckanzügen bis zu 460 Meter tief tauchen. Einige Militär-U-Boote bis zu 1.000 Metern. Das Ziel des Tauchboots Titan - das Wrack der Titanic - liegt in 3.800 Metern Tiefe.
    Mit jedem Tauchgang wechselt die Belastung zwischen wenig Druck an der Wasseroberfläche hin zu gigantisch viel Druck in der Tiefe (und zurück). Dabei könnten einzelne Fasern gerissen sein, bis die Gesamtkonstruktion am Sonntag schließlich nicht mehr gehalten hat.
    Denkbar ist aber auch ein Versagen anderer Bauteile, wie der Bolzenschrauben, mit denen die Segmente des Druckkörpers miteinander verbunden sind - oder Probleme mit dem Bullauge.

    Überreste der Kapsel sollen geborgen werden

    Im Laufe des Freitags soll damit begonnen werden, Teile der Trümmer der "Titan" zu bergen. Dafür kommen auch weiterhin die ferngesteuerten Tauchroboter zum Einsatz. Wenn es eine Übersicht über den Zustand der Überreste gibt, ist eine genaue Ursachenforschung vielleicht doch noch möglich. Die übrigen Schiffe der Rettungsmission - zeitweise sind es mehr als ein Dutzend Schiffe plus Flugzeuge vor Ort - werden nun zügig abgezogen.
    Brigitte Saar ist Reporterin im ZDF-Landesstudio in München. Sie ist selbst 1998 mit einer Expedition zum Wrack der Titanic getaucht und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der Geschichte des gesunkenen Luxusdampfers.

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