Gedenkfeier in Solingen - Steinmeier: "Ich nenne das Terror“
30 Jahre nach Solingen-Anschlag:Steinmeier: "Ich nenne das Terror"
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Vor 30 Jahren starben fünf Menschen nach einem rechtsradikalen Anschlag in Solingen. In seiner Rede wird der Bundespräsident deutlich: Rechten Terror gebe es auch nach Solingen.
Anlässlich des 30. Jahrestages des rassistischen Anschlags von Solingen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einer Verharmlosung rechtsextremer Strukturen gewarnt. Viel zu lange haben man der Behauptung aufgesessen, es seien "verblendete Einzeltäter, die ihr Unwesen treiben", sagte Steinmeier am Montag bei der Gedenkveranstaltung. Bei diesem und zahlreichen weiteren rechtsextremen Anschlägen handle es sich um "Terror".
Die dahinterliegenden Strukturen und die Ideologie der Täterinnen und Täter seien "lange übersehen, ignoriert, teils auch verdrängt", sagte Steinmeier in der nordrhein-westfälischen Stadt. "Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen. Es gibt eine Kontinuität von rechtsextremer und rassistischer Gewalt in unserem Land", so Steinmeier weiter.
Anschlag von Solingen: Jüngstes Opfer vier Jahre alt
Am 29. Mai 1993 hatten vier Rechtsextremisten in Solingen das Wohnhaus der türkischen Familie Genc in Brand gesetzt. Bei dem Anschlag starben fünf Mädchen und Frauen, das jüngste Opfer war erst vier Jahre alt. Solingen markierte den Höhepunkt einiger rechtsradikaler Verbrechen in der ersten Hälfte der 90er-Jahre in der Bundesrepublik.
An der Gedenkveranstaltung nahmen unter anderem auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teil. Ebenfalls dabei waren Hinterbliebene der Opfer und der türkische Vize-Außenminister Yasin Ekrem Serim.
Steinmeier erinnert an NSU, Lübcke und Hanau
Steinmeier verwies auch auf die rechtsextremistische Mordserie des NSU, den von einem Rechtsextremisten ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den Anschlag von Hanau, bei dem ein Mann neun Menschen aus rassistischen Motiven tötete. Zugleich erinnerte er an den Schmerz, der die Hinterbliebenen der Ermordeten.
Steinmeier mahnte darüber hinaus an die besondere Verantwortung des Staates und seiner Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Es mache ihn deshalb "fassungslos", wenn sich "einzelne Angehörige von Sicherheitsbehörden" in rechten Chatgruppen organisierten, fügte der Bundespräsident in seiner Rede an. "Das können und dürfen wir nicht dulden."
Vor drei Jahren wurden in Hanau neun Menschen bei einem rassistischen Anschlag getötet. Noch immer gibt es ungeklärte Fragen. Die Angehörigen fühlen sich alleingelassen. Wie geht die Aufarbeitung voran?20.02.2023 | 2:02 min
Wüst: "Abgrund menschlicher Seelen"
NRW-Ministerpräsident Wüst bezeichnete den Anschlag vom 29. Mai 1993 in seiner Rede als "einen der dunkelsten Tage in der Geschichte" von Nordrhein-Westfalen. "An diesem Tag haben wir in den Abgrund menschlicher Seelen blicken müssen", sagte er mit Blick auf die Täter. Oft werde von einer fremdenfeindlichen Tat gesprochen. Dies sei aber ein irreführender Begriff. Es handle sich in Wirklichkeit um "Menschenfeindlichkeit in seiner niederträchtigsten Form", fügte er hinzu.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser rief zum Jahrestag des Brandanschlags zum stärkeren Kampf gegen Rechtsextremismus auf. "Der Rechtsextremismus ist die größte extremistische Gefahr für unsere Demokratie - und für Menschen in unserem Land", sagte sie der Funke Mediengruppe.
Vor 30 Jahren starben fünf Menschen, als Rechtsradikale das Haus der Familie Genc in Solingen anzündeten. Dass es so weit kommen konnte, lag auch an einer vergifteten Asyldebatte.
von Martin Schiffler
Solingen: Ein "Chiffre für die Angst"
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, bezeichnete Solingen als "Zeitenwende" im negativen Sinne. Seither hätten antimuslimische Taten und Hassverbrechen zugenommen, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Das Ausmaß der Menschenverachtung werde unterschätzt.
Von einem "kollektiven Trauma" für migrantische Menschen sprach die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, gegenüber "Zeit Online". Solingen sei eine "Chiffre für die Angst".