Modellprojekt: Praxislerntage:In der Schule für das (Berufs-)Leben lernen
von Annette Pöschel
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Sachsen-Anhalts Bildungsministerium will neue Wege gehen: Schüler der 8. und 9. Klasse schnuppern alle 14 Tage in Firmen Praxisluft. Was bringt den Jugendlichen das? Ein Besuch.
Ein Modellprojekt des Bildungsministeriums in Sachsen-Anhalt ermöglicht Schülern einen regelmäßigen Praxistag. Statt die Schulbank drücken, können sie ganz praktisch in Berufe reinschnuppern.27.11.2023 | 2:02 min
Das sieht fast schon professionell aus, wie der 15-jährige Max Städter an der Arbeitsplatte in der Werkshalle steht. Mit Schutzbrille und Schutzhandschuhen. Konzentriert markiert er auf einer Glasplatte den Punkt, wo er gleich einen großen Zirkel aufsetzen und damit einen Kreis ausschneiden wird.
Max schnuppert in den Berufsalltag von HoffmannGlas in Peißen hinein. "Ich habe gelernt, wie man Rahmen schneidet und Glas bricht. Das lerne ich in der Schule nicht." Eigentlich ist Max Schüler, aber alle zwei Wochen verbringt er hier einen sogenannten "Praxislerntag".
Dies ist ein Modellprojekt des Bildungsministeriums Sachsen-Anhalt für Acht- und Neuntklässler. Jedes Halbjahr können sie dabei ein anderes Unternehmen kennenlernen. Ein Ziel ist die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen. Ein anderes das "duale Lernen".
Laut Experten fehlen bis ins Jahr 2035 mindestens 80.000 Lehrkräfte. Die Lücke sei so groß, weil die Kultusministerkonferenz steigende Schülerzahlen nicht einkalkuliert habe.05.09.2023 | 7:58 min
Praxislerntag: Wenn Schulwissen auf Berufsalltag trifft
Max besucht die Sekundarschule "An der Doppelkapelle" in Landsberg. Schulleiterin Dany Hambach erklärt, dass die Praxislerntage von Lehrern vorbereitet und begleitet werden. "Wir haben Wirtschafts- und Technik-Unterricht, der mit der Praxis verbunden wird. Die Schüler gehen hinaus und finden das Wissen aus der Schule wieder. Sie merken: Im Job wird es auf dieselbe Art berechnet und genauso angefertigt, wie sie es gelernt haben."
Laut Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) soll der Fokus auf eine "handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung" gelegt werden, auf eine Verbindung "zwischen schulischem Wissen und praktischer Anwendung".
Unterricht nach Stundenplan - nicht in Dresden! Dort dürfen die Schüler selbst entscheiden, wie der Schultag abläuft. logo!-Reporterin Simone hat das mal ausgecheckt.30.10.2023 | 3:07 min
Schüler gewann an Selbstsicherheit
Für Darius Lehmann ist der Glasfassaden-Spezialist schon das dritte Unternehmen im Rahmen der Praxislerntage. Im ersten hat er noch im Lager mitgearbeitet, jetzt zieht es ihn eher ins Büro. Sich selbst beschreibt er eigentlich als schüchtern. Doch weil er schon in viele Bereiche hineinschauen konnte - zumal über einen längeren Zeitraum - und dabei immer mit anderen Kollegen sprechen musste, ist er selbstbewusster geworden, findet er. "Ich bin etwas offener geworden gegenüber fremden Leuten, kann mich besser unterhalten, bin nicht mehr so nervös." Auch beim Telefonieren sei das viel besser geworden.
Tom Scholle kümmert sich um die Schüler im Betrieb. Er hat hier selbst als Azubi angefangen. Mittlerweile ist er an diesem Standort für das Qualitätsmanagement zuständig. Er findet, das Projekt sei eine gute Möglichkeit, das Familienunternehmen als potenziellen Ausbildungsbetrieb darzustellen: "Wir sind davon abgerückt, nur auf die Bewerbung, auf die Noten zu schauen. Wir wollen die jungen Leute immer erst persönlich kennen lernen. Daher sind die Praxislerntage perfekt für uns."
Aber das sei keine Einbahnstraße, auch die Schüler wüssten, worauf sie sich einlassen. "Wir haben durchweg positive Erfahrungen und schon einen ersten Erfolg. Der erste Teilnehmer hat gerade seinen Ausbildungsvertrag unterschrieben."
Handwerkskammer warnt vor Aufwand
Überhaupt begrüßen die Kammern das Modellprojekt. Es würde "in die richtige Richtung gedacht", heißt es etwa aus der Handwerkskammer Magdeburg. Gleichwohl bestünde die Gefahr, dass angesichts des Lehrermangels "die intensive Vor- und Nachbereitung und Betreuung der Praxislerntage durch die Schule zu kurz kommen und damit die Zielstellung verfehlt wird", gibt Stefanie Klemmt von der IHK Magdeburg zu bedenken.
Diese Befürchtung versteht Dany Hambach - zumindest grundsätzlich. Ihre Schule sei jedoch gut aufgestellt. Auch ziehen ihre Kollegen mit an einem Strang bei der zusätzlichen Bürokratie und der Schüler-Betreuung. Dennoch: "Angesichts des halbjährlichen Wechsels der Praxislernorte - zumal im ländlichen Raum -, würde ich mir für die Organisation wünschen, dass man zum Beispiel einen Schulverwaltungsassistenten hätte." Aber von dem Modellprojekt ist sie überzeugt, und hofft, dass es ausgeweitet und zur Regel wird. Auch weil sie sieht, wie ihre Schüler daran wachsen.
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