Bessere Schulen - So geht Bildung für alle | Terra-X-Kolumne

    Kolumne

    Terra X - die Wissens-Kolumne:Wie moderne und gerechte Schule für alle geht

    von Andreas Schleicher
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    Andere Länder wie Portugal und Finnland machen es vor: Man kann Schulsysteme umbauen, so dass sie modern und gerecht werden. Das ist auch in Deutschland machbar.

    Terra X - Die Wissens-Kolumne: Andreas Schleicher

    Wir sehen in der heutigen Gesellschaft, dass sich die Menschen wirtschaftlich, kulturell und politisch immer stärker polarisieren und voneinander unterscheiden. Um eine gemeinsame Grundlage für mehr Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen, gibt es nur eine Lösung: gute Bildung. Wir haben viele Instrumente, um Ressourcen umzuverteilen, aber an den Ursachen von Ungleichheit können wir nur durch bessere Bildung arbeiten und deswegen ist dieses Thema so wichtig.

    In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

    Die meisten Schülerinnen und Schüler sind heute Konsumenten vorgefertigter Lerninhalte, Lehrkräfte sind zu Dienstleistern, Kinder und Eltern zu Kunden geworden. Das Herz der Bildungsidee ist verloren gegangen. In vielen anderen Ländern werden gleichzeitig alte, verkrustete Lernsysteme radikal verändert.
    Grafik: Professor Harald Lesch
    Lernen aus dem Lockdown: Unsere Schulen sind nicht mehr zeitgemäß! Doch an der Schule der Zukunft wird bereits gearbeitet. Lesch Kosmos zeigt neue Studien zum Lernverhalten und was neue Lernsysteme wirklich brauchen.27.10.2020 | 28:11 min

    Wenn Schüler mitbestimmen, entstehen neue Dynamiken

    Ein spannendes Beispiel: Portugals Schulsystem war sehr vertikal ausgerichtet und überaus bürokratisch. Dann hat man beschlossen: Wir machen einen Versuch und geben Schulen einen Euro pro Schüler extra und dieser Euro wird von den Schülern ausgegeben, sie konnten selbst entscheiden, wie sie diese Ressourcen einsetzen.
    Das hat zu einem grundlegenden Mentalitätswandel geführt. Plötzlich waren die Schüler Akteure, nicht mehr Konsumenten, und sie haben dann zum Beispiel auch bei der Schulleitung nachgefragt: Warum leckt hier das Dach? Warum haben einzelne Schüler nicht die Mittel für eine Teilhabe an schulischen Aktivitäten? So kann man Dinge verändern, es ist tatsächlich gar nicht so schwer.

    Gute Bildung beginnt mit Ausbildung guter Lehrer

    Der Blick nach Finnland zeigt: Alle jungen Menschen, die Lehramt studieren wollen, machen dort einen Zulassungstest. Die Auswahl aber findet erst im zweiten Studienjahr statt, wo die Studierenden sich in der Praxis bewähren und unter Beweis stellen müssen, dass sie erfolgreich mit Kindern und Jugendlichen und mit dem Kollegium zusammenarbeiten können. Von zehn Bewerbungen wird im Schnitt nur eine ausgewählt.
    Mann mit einer Ledertasceh vor einer Schultafel
    Um dem Lehrermangel entgegenzuwirken soll eine neue Plattform Quereinsteigern den Einstieg in den Schuldienst ermöglichen und erleichtern.31.08.2023 | 4:07 min

    Schweden bezahlt Lehrer individuell

    Was wäre, wenn wir Schulen finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, die sich vorrangig daran bemessen, vor welchen Herausforderungen sie im Einzelnen stehen? Plötzlich würde es interessant, sich in diesen Schulen um die schwierigsten Kinder und Jugendlichen zu kümmern.
    Schweden hat das genauso gemacht und dort werden sogar die Lehrkräfte individuell bezahlt. Mit finanziellen Anreizen gewinnt man die engagiertesten und erfolgreichsten Lehrkräfte für besonders problembelastete Schulen.

    Schulen brauchen mehr Entscheidungsfreiheit

    An deutschen Schulen herrscht oft noch ein falsch verstandener Konformismus, nicht zuletzt durch eine erdrückende Bürokratie, die über das Schulsystem entscheidet. Nur 17 Prozent der Entscheidungen darüber werden in Deutschland in den Schulen selbst getroffen. Daher braucht es mehr Entscheidungsfreiheit. Im Nachbarland Niederlande sind es neun von zehn Entscheidungen, um genau zu sein 93 Prozent.
    Ich glaube, wir können vor Ort viel mehr Dinge verändern, als uns das oft bewusst ist. Dieser Glaube an die Bürokratie ist eigentlich schlimmer als die Bürokratie selber.
    Grafik: Harald Lesch 2x vor Schultafel
    Zu wenig Lehrer*innen, zu viele Hausaufgaben, überfordernde Lehrpläne und unmotivierte Schüler*innen – Kritik am Schulsystem gibt’s in Deutschland nicht zu wenig.22.09.2023 | 92:50 min
    Man muss aber auch ehrlich sein, ganz einfach ist ein solcher Wandel nicht. Teilweise sind auch wir als Eltern Teil des Problems. Wir werden sehr schnell nervös, wenn unsere Kinder nicht mehr das lernen, was früher einmal wichtig für uns war oder wenn sie Dinge lernen, die wir nicht verstehen. Und als Politiker gewinnt man meist auch keine Wahlen mit Bildungsreformen, weil es mitunter sehr lange dauern kann, gute Ideen umzusetzen.

    Ideen müssen umgesetzt werden - und alle müssen mitmachen

    Aber wir haben keine andere Wahl. In der Vergangenheit konnte man sagen: Wir nehmen das Geld der Reichen, geben es den Armen und leben einfach mit den Konsequenzen einer solchen Umverteilung. Das funktioniert heute nicht mehr.
    Soziale Beteiligung ist das große Thema unserer Zeit und tatsächlich sind die spannendsten Ergebnisse der aktuellen Pisa-Studie für mich, dass wir das erreichen können, dass wir das Potenzial aller jungen Menschen wirklich einbringen können in dieser Gesellschaft. Was man dafür braucht, ist wirkliches "Leadership", Menschen, die bereit sind, das Richtige zu tun und sich einzusetzen, auf jeder Ebene des Systems.
    Andreas Schleicher im Gespräch mit Richard David Precht
    Wie schaffen wir eine Reform hin zu einem modernen und gerechten Schulsystem? Und wie könnte man eine solche Wende ganz konkret in die Tat umzusetzen? Die ganze Sendung von PRECHT und Andreas Schleicher.29.10.2023 | 43:11 min

    ... ist Bildungsforscher und Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der OECD und Erfinder der Pisa-Studien. Die neuesten Ergebnisse der Erhebungen werden im Dezember 2023 veröffentlicht.

    Schleicher wurde 1964 in Hamburg geboren. Obwohl er als ungeeignet für das Gymnasium eingestuft wurde, absolvierte er später das Abitur an der Waldorfschule mit einem Notendurchschnitt von 1,0. Annschließend studierte er in Hamburg Physik. Dort hörte er auch Vorlesungen des englischen Erziehungswissenschaftlers Neville Postlethwaite und machte den Master of Science für Mathematik an der Deakin University in Melbourne. Schleicher erhielt neben anderen Auszeichnungen 2003 den Theodor-Heuss-Preis für sein beispielhaftes demokratisches Engagement.

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