Die Macht der Kartelle 30 Jahre nach Escobars Tod

    Kolumbiens legendärer Drogenboss:Die Macht der Kartelle 30 Jahre nach Escobar

    Christoph Röckerath
    von Christoph Röckerath
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    Zwischen Reichtum, Macht und fragwürdiger Wohltätigkeit: Vor 30 Jahren verstarb Kolumbiens prominentester Drogenboss. Pablo Escobar verdiente Milliarden mit Kokain.

    Magnet, der das Gesicht von Pablo Escobar zeigt
    Seit Escobars Ableben hat sich das Gesicht der Unterwelt gewandelt.
    Quelle: epa

    Die Gerichtsmedizinerin hantiert mit einem Gegenstand, der an ein hellbraunes Stück Holz erinnert, aber so übel riecht, dass es einem den Atem raubt. Es ist der Geruch, der bis heute für Pablo Escobar und seine Nachfolger steht: verwesendes Menschenfleisch.

    Makabrer Fund aus Massengrab in Mexiko

    Das vermeintliche Stück Holz hat Zehen mit gepflegten Nägeln. Es sei der Fuß einer jungen Frau, erklärt die Medizinerin. Er stamme aus einem Massengrab, das sie kürzlich exhumiert haben - mit mehr als einem Dutzend Opfern eines Drogenkartell-Massakers, deren Einzelteile sie jetzt sortierten, um den Angehörigen eine halbwegs würdige Bestattung zu ermöglichen.
    Alltag an der Front im Drogenkrieg. Dieses Erlebnis in der Gerichtsmedizin von Ciudad Juarez in Mexiko liegt einige Jahre zurück, aber es ist bis heute in all seiner übelriechenden Brutalität der Kern dessen, was sich wirklich hinter der Glorifizierung des Drogengeschäftes in gut gemachten TV-Serien oder in beiläufigen Erzählungen vom "Spaß" auf Partys in Berlin oder Buxtehude verbirgt.
    "Escobars Erben - Die unsichtbaren Drogenbosse - Die Schmuggler": Luftaufnahme von oben auf ein Boot.
    Noch nie wurde so viel Kokain konsumiert wie heute. Mit neuen Methoden und Vertriebsrouten sorgen Hintermänner des organisierten Rauschgifthandels dafür, den Bedarf zu decken.22.10.2020 | 44:20 min

    Der gespaltene Mythos eines Drogenbosses in Medellín

    Den meisten Menschen, die heute ans Grab von Pablo Emilio Escobar Gaviria in der kolumbianischen Metropole Medellín pilgern, um Selfies zu machen oder gar Gebete zu sprechen, dürfte ein anderes Bild vorschweben. Jenes, das der Gründer des Medellín-Kartells schon zu Lebzeiten pflegte, lange bevor es soziale Medien gab: Das des Rebellen, des Unangepassten, der aus armen Verhältnissen kommend den Erfolg vorlebt, mit seinem Reichtum prahlt, aber ein Herz für den kleinen Mann hat.
    Die Sozialwohnungen, Krankenhäuser und Fußballplätze, die er bauen ließ, während er Milliarden mit Kokain verdiente und jeden umbringen ließ, der als Geschäftsrisiko empfunden wurde, stehen zum Teil noch heute. Sein berühmter "Mugshot", das Foto seiner ersten Verhaftung, auf dem er mit frech in die Kamera grinst, wird heute auf T-Shirts gedruckt.
    "Escobars Erben - Die unsichtbaren Drogenbosse: Der Geldwäscher": Von mit Maschinengewehren bewaffneten Wachen bewachte Geldbündel auf Europaletten.
    Im Jahr 2004 gehen der Polizei mehrere Boote mit 22 Tonnen Kokain ins Netz – sie haben es mit einem einflussreichen Hintermann zu tun. Die Spur führt zu einem Unternehmer aus Bogotá.22.10.2020 | 44:18 min

    Von Verehrung zu Realität: Wandel im Drogenhandel nach Escobar

    Dreißig Jahre nach seinem gewaltsamen Tod am 2.12.1993, auf einem Hausdach im Kugelhagel einer Polizei-Spezialeinheit, wirkt Pablo Escobar oft wie die Ikone einer verklärten Epoche. Óscar Naranjo, der ehemalige Chef der kolumbianischen Nationalpolizei, sagt in einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur:

    Die Figur des Pablo Escobar wird heute von jungen Menschen verehrt, die nicht in dieser Zeit der Gewalt geboren wurden. Sie glauben, er sei ein Gott, eine Art kolumbianischer Robin Hood - und das ist absolut falsch. Denn in Wirklichkeit war er ein Mörder und ein Wahnsinniger.

    Óscar Naranjo, Ex-Chef der kolumbianischen Nationalpolizei

    Seit Escobars Tod haben sich die Strukturen des Drogenhandels verändert. Die Anbaugebiete liegen nach wie vor primär in Kolumbien, Peru und Bolivien. Die Logistik für den Transport nach Norden haben mexikanische Kartelle übernommen. Der Handel nach Europa verläuft über die südliche Route, quer durch den Regenwald, bis in die Favelas von Rio de Janeiro, über den Atlantik.

    Drogenbosse lernen aus Escobars Schwäche: Unsichtbarkeit als Schutz

    Vor allem aber haben die Bosse von heute aus der größten Schwäche Escobars gelernt, seiner Eitelkeit. "Die Kriminellen haben gelernt, dass es gefährlich ist, sich zu zeigen", sagt Naranjo, der die Jagd auf Escobar leitete.

    Heute gibt es eine kriminelle Zersplitterung, die in kleinen Gruppen arbeitet, und diejenigen, die im großen Stil profitieren, sind unsichtbar.

    Óscar Naranjo, Ex-Chef der kolumbianischen Nationalpolizei

    "Es gibt kein Verhältnis der Beherrschung oder Unterordnung, sondern eher eine sehr horizontale Handelsbeziehung mit mexikanischen, europäischen, afrikanischen oder nordafrikanischen Mafiagruppen", bestätigt auch Gustavo Duncan Cruz, Politikwissenschaftler an der privaten EAFIT-Universität in Medellín gegenüber der dpa.
    Geblieben aber ist das mörderische Wesen des Geschäfts, eine Spur der Verwesung und der Toten, die sich entlang der Schmuggelrouten Lateinamerikas zieht und gerade in den Armenvierteln der Metropolen, aus denen die Kartelle ihre Soldaten rekrutieren, jeden Tag Menschenleben kostet, so lange der Stoff seine Kunden findet.
    Christoph Röckerath ist Leiter des ZDF-Studios Rio de Janeiro.