Chilly Gonzales vs. Richard Wagner: "Verdammtes Monster"
Chilly Gonzales vs. Wagner:"Was für ein verdammtes Monster"
von Cornelius Janzen
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Der kanadische Popstar Chilly Gonzales rechnet auf seinem neuen Album "Gonzo" mit Richard Wagner ab. Warum er dem Komponisten den Krieg erklärt, aber nicht seiner Kunst.
Warum der kanadische Musiker Chilly Gonzales auf seinem neuen Album "Gonzo" dem Komponisten Richard Wagner den Krieg erklärt, verrät er im Interview.12.12.2024 | 9:14 min
"F-U-C-K Richard Wagner", rappt Chilly Gonzales an diesem Abend in der Düsseldorfer Tonhalle. Der Konzertsaal: brechend voll. Gonzales trommelt, gestikuliert wild mit den Paukenschlägeln: "Was für ein verdammtes Monster", so der Text seines neuen Songs "F*ck Wagner", bei dem nur er und die Pauke im Scheinwerferlicht stehen: "Es ist, als würde man eine Armee antreten lassen. Wie auf Kriegsschiffen", sagt Gonzales im ZDF-Interview.
Gonzales für Trennung von Kunst und Künstler
Im Fall Wagner fordert er die Trennung von Kunst und Künstler. In seiner Wahlheimat Köln hat er vor einigen Monaten beantragt, die Richard-Wagner-Straße in Tina-Turner-Straße umzubenennen. Turner hatte neun Jahre in Köln gelebt. "Ich sage nicht einfach 'Fuck Wagner’. Ich möchte mit Tina Turner ein Zeichen setzen."
Mit einer Online-Petition hat Gonzales bereits mehr als 15.000 Unterschriften gesammelt und mit einem Antrag bei der Stadt Köln auf Umbenennung der Richard-Wagner-Straße den zuständigen ehrenamtlichen Bezirksbürgermeister Andreas Hupke von den Grünen zum Handeln bewegt. Hupke will nun ein Expertenkolloquium einberufen, sieht aber in der Trennung von Kunst und Künstler einen "gordischen Knoten". Bei einer Straßenumbenennung müsse immer das gesamte Leben eines Menschen betrachtet werden, so Hupke.
Chilly Gonzales in der Royal Albert Hall Ende Oktober in London.
Quelle: imago/Capital Pictures
Richard Wagner - Gonzales' Obsession?
Wagner selbst hat sich als Gesamtkunstwerk verstanden. Seine Hasstiraden waren eng mit seinen musikalischen Ambitionen verwoben. Mit seiner Hetzschrift "Das Judenthum in der Musik" griff er 1850 unter einem Pseudonym Komponisten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy und Giacomo Meyerbeer an, sprach ihnen als Juden künstlerische Tiefe ab und schürte mit einer Neuveröffentlichung 1869 unter seinem Klarnamen den Antisemitismus.
Für Gonzales ist Wagner zur Obsession geworden - so scheint es. Die Gründe dafür sucht er in seiner eigenen Familiengeschichte. "Mit 16 Jahren ging ich mit meinem jüdischen Vater in Wagner-Opern. Ich fragte ihn: 'Wie kannst du diesen Mann, dieses Monster, mit seiner großartigen Musik in Einklang bringen?' Er sagte: 'Man muss die Kunst vom Künstler trennen.' - Diese Frage hat mich 35 Jahre lang beschäftigt."
Sein neoklassisch-jazziger Klavierstil hat ihn berühmt gemacht. Auf seinem neuen Album "Gonzo" scheint er eine künstlerische Metamorphose durchzumachen. Im moma Café ist er zu Gast mit "I.C.E.".18.09.2024 | 7:50 min
Gonzales ist zurück beim Rap
Geboren 1972 als Jason Charles Beck in Montreal, Kanada, lernte Gonzales früh Klavier, studierte Komposition und zog 1998 nach Berlin. Dort schuf er für seine Kunst eine eigene Kunstfigur: Chilly Gonzales. Das Klavierspielende und rappende Musikgenie im Bademantel. 2012 begann er eine Psychoanalyse. Nahm überwiegend Piano-Alben auf. Auf seinem neuen Album ist der Rap zurück und er reflektiert seine Identitätskonflikte.
Gonzales beschreibt sich selbst als "oppositionellen" Menschen, der Erwartungen bricht. So gibt er dem ZDF eine Piano-Masterclass - ausgerechnet zu Richard Wagner. Spielt das berühmte Vorspiel aus Wagners Oper Tristan und Isolde. So sehr er Wagner als Person verachtet, verehrt er ihn als Komponisten, der die Musikgeschichte revolutioniert hat. "Die klassische Musik wechselte traditionell zwischen Stabilität und Spannung. Wagner aber wählte Zwischenakkorde und hielt die Spannung, ohne sie aufzulösen. Das war Ambiguität pur." Dazu komme sein "fast mythisches Leben".
"Aber egal, was für ein Monster er war, das berühmte Vorspiel zu Tristan und Isolde zeigt, dass wir seine Musik nicht einfach wegwerfen können."
"Wenn ich Fuck Wagner sage, muss ich auch Fuck Chilly sagen. Wir sind alle Richard", rappt Gonzales an diesem Abend in Düsseldorf.
Mit Cancel Culture auf Kriegsfuß
Menschen einfach so abzuschreiben, sei nicht gesund, reflektiert er - doch genau das mache die sogenannte Cancel Culture. Und auch mit der stehe er auf Kriegsfuß.
"Wenn man jedem, der etwas Schlechtes getan hat, das Recht abspricht, Bücher zu schreiben, Filme zu machen oder Musik zu komponieren, dann hat man irgendwann keine Künstler mehr, denn Menschen sind unvollkommen. Mich selbst in Wagner zu erkennen, ist die ultimative Versöhnung. Am Ende geht es um genau das, was mein Vater immer gesagt hat - man muss die Kunst vom Künstler trennen."
Mit einem virtuosen Album "Gonzo" versöhnt sich Chilly Gonzales mit den Geistern seiner Vergangenheit. Der Song "F*ck Wagner": keine Kriegserklärung, sondern eine Liebeserklärung an die Kunst.
Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter für 3sat Kulturzeit.
Der Pianist Chilly Gonzales veröffentlicht ein ungewohnt textreiches Album. Auf "Gonzo" setzt er sich mit seiner eigenen Kunst, aber auch mit moralischen Fragen auseinander.