Warum steigt die Zahl von Orca-Angriffen? Drei Thesen

    Vorfälle im Mittelmeer:Warum greifen Orcas Boote an? Drei Thesen

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    In den letzten Jahren stieg die Zahl der Angriffe von Orcas auf Boote im Mittelmeer - und zwar nur dort. Eine sichere Erklärung gibt es nicht. Forscher stellen drei Thesen auf.

    Orca der mit einem Schiff interagiert
    Seit 2020 werden Boote vor den Küsten Südwesteuropas immer wieder von Orcas zerstört.
    Quelle: dpa

    Die idyllische Bootsfahrt im Mittelmeer geriet für eine spanische Familie binnen Sekunden zum Horrortrip: Mehrere Orcas bedrängten plötzlich das Segelschiff und rissen ein großes Stück des über zwei Meter langen Ruderblattes ab. "Ich weiß nicht, ob diese Wale wirklich nur spielen wollten oder was auch immer", erzählte der Bootsbesitzer jüngst der spanischen Zeitung "El Mundo".

    Aber wenn man von einem acht Meter langen und mehrere Tonnen schweren Biest angegriffen wird, das seine Zähne in Aluminium versenken kann, bekommst du es mit der Angst zu tun.

    Bootsbesitzer

    Der geplante Schiffsurlaub der Familie endete abrupt - aber die Attacken hören nicht auf.
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    Orcas bringen Segelboot zum Kentern

    Der letzte größere Zwischenfall ereignete sich erst am 24. Juli vor der Küste von Tarifa an der Straße von Gibraltar. Das Segelboot "Bonhomme William" sendete sofort ein Notsignal, doch als die spanischen Einsatzkräfte eintrafen, war es schon halb untergegangen. Die drei Insassen - zwei Briten und ein Italiener - wurden rechtzeitig geborgen.
    "Die drei Geretteten sind wohlauf an Land gebracht, das Segelboot versinkt", meldete der spanische Seerettungsdienst auf dem Kurznachrichtendienst X.
    Von einem Orca zerstörtes Ruderblatt
    Das von einem Orca zerstörte Ruderblatt zeigt die Kraft, mit der
    Quelle: dpa

    Forscher: Phänomen tritt seit 2020 auf

    Solche Attacken - Forschende sprechen lieber von Interaktionen und gehen davon aus, dass die Schwertwale nicht in aggressiver Absicht handeln - waren bis vor wenigen Jahren unbekannt. Erste Zwischenfälle wurden im Pandemiejahr 2020 gemeldet und oft auf Video festgehalten.
    Die bis zu zehn Meter langen und über fünf Tonnen schweren Orcas sind die größte Art aus der Delfinfamilie und der breiten Öffentlichkeit spätestens seit der Filmreihe "Free Willy" bekannt. Sie fressen Thunfische, Heringe, Robben, Pinguine und Seevögel und attackieren auch Haie, Delfine und andere Wale. Auf Boote hatten sie es aber bis 2020 nicht abgesehen.
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    Warum greifen Orcas Boote an?

    Die Vorfälle geben Forschern Rätsel auf. Denn obwohl Orcas weltweit leben, zeigen bisher nur Tiere in der iberischen Region das mysteriöse Verhalten. Von den 34 dort registrierten Individuen interagieren nach Erkenntnissen von GTOA nur 16 mit den Booten. Forschende räumen ein, dass sie noch keine sicheren Antworten auf diese Fragen haben.
    Es gibt drei Thesen für das Verhalten der Orcas:
    • Ein neues "Hobby": Die hochintelligenten Tiere könnten einfach etwas Neues erfunden haben - ähnlich wie jene Orcas, die in den 1980er Jahren im Nordpazifik tote Lachse auf ihren Köpfen balancierten. Andere Tiere ahmen das Verhalten nach.
    • Reaktion auf Negativerfahrung: Die Vorfälle könnten eine Reaktion auf ein negatives Erlebnis darstellen. Möglich wäre das Verfangen in einem Fischnetz oder eine Kollision mit einem Boot.
    • Langeweile: In einer Studie vermutet die Internationale Walfangkommission (IWC), dass Orcas Boote angreifen, weil es durch Fischereiverbote reichlich Thunfisch gibt und sie weniger Zeit mit Futtersuche verbrächten. So hätten sie wohl mehr "Freizeit" und "spielten" mit den Schiffen, heißt es.
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    Auch dieses Jahr wurden mehrere Boote völlig zerstört

    Verschiedene Maßnahmen der spanischen Behörden, wie Fahrverbote für kleinere Boote in bestimmten Meereszonen und GPS-Tracker, um Orcas zu orten, brachten bisher wenig Erfolg. Laut der Organisation "GT Atlantic Orca" (GTAO) gab es dieses Jahr bis Ende Juni vor den Küsten von Spanien und Portugal 84 Interaktionen. Sechs Boote seien so stark beschädigt worden, dass sie abgeschleppt werden mussten. Die Zahlen sind etwas höher als der Durchschnitt der Vorjahre.

    Die meisten Begegnungen werden weiterhin an der Straße von Gibraltar oder in der Nähe registriert.

    Alfredo López, GTAO-Biologe

    Derweil existiert die Hoffnung, dass das Problem von selbst verschwinden könnte: Manche Fachleute vermuten nämlich eine vorübergehende Modeerscheinung, die jäh enden könnte - so wie das Lachs-Balancieren in den 1980er Jahren.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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    Quelle: dpa

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