Schleppende Aufarbeitung nach Missbrauch im Bistum Trier
Missbrauch im Bistum Trier:"Vertane Chancen bei der Aufarbeitung"
von Claudia Oberst
|
Ein Priester des Bistums Trier missbrauchte jahrzehntelang Jugendliche. Erst nach seinem Tod gab es eine Untersuchung. Ein Kirchen-Experte spricht von "vertanen Chancen".
Immer neue Details zum Missbrauch im Bistum Trier werden bekannt.
Quelle: dpa
1987 organisierte Edmund Dillinger eine Romreise für Jugendliche. Höhepunkt der Exkursion sollte eine Privataudienz beim Papst sein. Doch es ist nicht das Treffen mit dem Papst, das den Teilnehmern im Gedächtnis blieb. Es sind die Badeausflüge.
"Da machte er Bilder", erinnert sich ein Teilnehmer. "Man sieht aber nie seine Hände. Die waren immer hinter den Jungen und in deren Badehosen." Der Zeuge weiter: "[Dillinger] hat keine Gelegenheit ausgelassen, bewusst Körperkontakt, Hautkontakt zu bekommen, auch unter der Kleidung. Gruppenfotos nutze er, um sich den Jungen körperlich zu nähern und dabei auch mit den Händen entlang bis in die Badehose zu streichen ...".
Priester soll jahrzehntelang Jugendliche missbraucht haben
Die Aussage findet sich in dem Abschlussbericht der Sonderermittler zum Fall Edmund Dillinger (1935-2022). Dillinger, der als Priester und Religionslehrer zum Bistum Trier gehörte, hat jahrzehntelang Jugendliche und junge Männer missbraucht und nackt fotografiert. Der Fall wurde bekannt, nachdem Dillingers Neffe letztes Jahr an die Öffentlichkeit ging. Er hatte nach dem Tod seines Onkels Fotos gefunden, "die man als Priester nicht macht", wie er im ZDF-Interview sagte.
Die Unabhängige Aufarbeitungskommission (UAK) des Bistums Trier beauftragte daraufhin die ehemaligen Staatsanwälte Ingo Hromada und Jürgen Brauer mit der Aufarbeitung.
Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche: Gegen Kardinal Rainer Maria Woelki ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Meineides.24.10.2023 | 9:40 min
Dunkelziffer dürfte viel höher sein
Laut deren Studie soll Dillinger in der Zeit von 1961 bis 2018 insgesamt 19 Personen in verschiedenen Schweregraden sexuell missbraucht haben. Elf der Opfer sind den Ermittlern namentlich bekannt.
Die tatsächliche Opferzahl dürfte viel höher sein. Denn Brauer und Hromada sind keine staatlichen oder polizeilichen Ermittler. Ihre Möglichkeiten sind begrenzt. "Soweit sich Betroffene nicht aus freien Stücken an uns gewandt oder […] an uns weiterverwiesen wurden, haben wir […] davon abgesehen, aktiv auf Personen zuzugehen, bei denen […] die Möglichkeit bestand, Opfer eines Missbrauchs durch D. geworden zu sein", erklären sie.
Kirchenrechtler: "Vertane Chancen bei der Aufarbeitung"
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Uni Münster spricht von "vertanen Chancen". In anderen Diözesen seien Kanzleien mit der Aufarbeitung sexueller Straftaten beauftragt worden. Anders in Trier.
"Bischof Ackermann weiß: Würde er eine Anwaltskanzlei oder Wissenschaftler damit betrauen, wären die schneller fertig und es würde rauskommen, dass seine Vorgänger als Generalvikar und als Bischof - dazu zählen Bischof Bätzing und Kardinal Marx - darin verstrickt sind", sagt Schüller im ZDF-Interview.
Erste Hinweise auf Fehlverhalten schon 1964
1964 erhielt das Bistum das erste Mal Hinweise auf Dillingers Fehlverhalten. Es kam zu einer Befragung, weitere Maßnahmen blieben aus. Diese Vorgehensweise wiederholte sich später, weshalb die Ermittler schreiben, dass das Bistum "unangemessen auf bekanntgewordene Missbrauchsfälle reagiert und diese vertuscht [hat]."
Erst 2012 ergriff das Bistum kirchenrechtliche Maßnahmen. Als Dillinger einen Pfadfinderstamm gründen wollte, überprüfte das Bistum seine Personalakten und fand die Vorwürfe aus früheren Jahrzehnten. Ackermann ordnete daraufhin eine kirchenrechtliche Voruntersuchung an, verhängte ein öffentliches Zelebrationsverbot und verbat Dillinger den Kontakt mit Kindern und Jugendlichen.
Ermittler machen noch ein Jahr weiter
Den deutschen Teil der Ermittlungen halten Brauer und Hromada für abgeschlossen. Sie betonten noch einmal, dass durch die Zerstörung von Unterlagen Dillingers durch die Staatsanwaltschaft Saarbrücken letzten Sommer wertvolle Hinweise verloren gingen.
Brauer und Hromada wollen noch ein Jahr lang weitermachen und sich auf Dillingers Aufenthalte in Afrika konzentrieren. Sie hoffen, dort weitere Zeugen und Opfer zu finden. Mehrere Anfragen an das Auswärtige Amt seien unbeantwortet geblieben, bedauern sie.
Wegschauen, vertuschen, totschweigen
Der Zeuge, der 1987 auf der Rom-Fahrt erlebte, wie Dillinger Jugendlichen in die Badehose griff, erzählte damals seinen Eltern von den Übergriffen.
Wegschauen, vertuschen, totschweigen. Dieses System schützte Edmund Dillinger jahrzehntelang. Erst nach seinem Tod kam die Wahrheit ans Licht. Für seine Opfer viel zu spät.
Ein Priester soll jahrzehntelang junge Menschen missbraucht haben. Das Bistum Trier ließ ihn gewähren. Jetzt versuchen zwei ehemalige Staatsanwälte, den Fall aufzuklären.