Fall Dramé in Dortmund: Hätten "Bodycams einschalten sollen"
Prozess um getöteten Flüchtling:Zeuge: Hätten "Bodycams einschalten sollen"
von Heiko Rahms, Dortmund
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Fünf Polizisten müssen sich wegen der tödlichen Schüsse auf einen jugendlichen Flüchtling vor dem Landgericht Dortmund verantworten. Heute sagte ein beteiligter Beamter aus.
Fünf Polizisten müssen sich nach den tödlichen Polizeischüssen auf den jungen Geflüchteten Mouhamed Dramé vor dem Landgericht Dortmund verantworten.
Quelle: ZDF
Die Begrüßungen sind herzlich, Hände werden geschüttelt. Vertreter der Anklage und Verteidigung kennen sich, denn bereits seit Ende 2023 läuft der Prozess gegen die Polizeibeamten, die an dem verhängnisvollen Einsatz am 8. August 2022 beteiligt waren.
Heute sind auch die Brüder aus dem Senegal von Mouhamed Dramé da. Für sie ist es der dritte Prozesstag infolge, den sie im Gerichtssaal verfolgen. Sie können die Aussagen der Zeugen kaum ertragen.
16-Jähriger Dramé drohte sich umzubringen
Fast sekundengenau versucht der Vorsitzende Richter herauszufinden, was an einem warmen Augusttag vor knapp eineinhalb Jahren im Hof einer katholischen Jugendeinrichtung geschah.
Damals erreichte die Leitstelle der Polizeiwache in Dortmund der Notruf des Leiters der Einrichtung. Der 16-Jährige Mouhamed sei drohe damit, sich mit einem Küchenmesser umzubringen.
Als die Beamten wenige Minuten später eintreffen, finden sie den Jungen mit dem Messer in der Hand im Hof auf dem Boden hockend. Die Polizisten sprechen ihn an - auf englisch, spanisch und deutsch. Der Senegalese reagiert nicht, denn er spricht französisch.
Nach dem Tod von Mouhamed Lamine Dramé sind fünf Polizisten angeklagt. Sie hatten Pfefferspray eingesetzt, die Situation eskalierte. Experten kritisieren das Vorgehen.13.05.2023 | 1:29 min
Zeuge soll Hergang des Einsatzes beschreiben
Was dann genau passiert, soll der Zeuge R. erklären. Er war damals Kollege der Angeklagten und auch bei dem Einsatz dabei. Die Staatsanwaltschaft hat ihn selbst jedoch nicht angeklagt. Ganz genau schildert er, wie Mouhamed das Messer in der Hand hielt und plötzlich schnell einige Schritte auf die Beamten zuging. Immer wieder fragt der Richter:
Es geht um Meter und Schritte - und um Sekunden zwischen den Warnungen der Polizisten, den Schüssen des Tasers und der Maschinenpistole. Alles dreht sich um die Frage, ob die jungen, unerfahrenen Polizisten ausreichend Zeit hatten, anders zu reagieren oder ob die Gefahr so groß und unmittelbar war, dass nur die Schüsse aus einer Maschinenpistole die Gefahr für die Beamten ausräumen konnte.
Fünf Beamte der Wache Nord müssen sich seit Dezember vor dem Dortmunder Landgericht verantworten. 19.12.2023 | 1:57 min
Brüder von Dramé verlassen Gerichtssaal
Zurückgelehnt verfolgt der hauptangeklagte Polizist, der die fünf tödlichen Schüsse aus der Maschinenpistole abgab, die Zeugenaussage. Direkt gegenüber sitzen die Brüder Mouhameds. Zuerst ist der ältere der beiden am Ende seiner Kraft und verlässt den Saal.
Auch sein Bruder kehrt nach einer kurzen Verhandlungspause nicht mehr auf seinen Platz neben der Vertreterin der Nebenklage zurück.
Polizist zu Ablauf des Geschehens: Junge kam auf uns zu
Technisch geht es weiter. Trafen die Beamtinnen mit dem Pfefferspray Mouhamed oder zielten sie daneben, um ihre Kollegen auf der anderen Seite des Zauns nicht zu treffen?
Vor Prozessbeginn versammeln sich Richter, Kläger und Angeklagte im Gerichtssaal.
Quelle: ZDF
"Ich glaube der wurde nicht richtig vom Tränengas getroffen. Es war eher so eine Art Niesel. Als der Junge den bemerkte, stand er auf und kam auf uns zu", beschreibt der Polizist das Geschehen. Dann half auch der Einsatz des Tasers nicht mehr.
Von dieser Waffe hält der junge Polizist generell wenig: "Ich habe eine Hausarbeit darüber geschrieben, dass bei einem Messer immer Schusswaffen zu nehmen sind", führt er aus. Und dass alle Polizisten ihre Bodycams während des Einsatzes ausgeschaltet hatten, sieht er mittlerweile kritisch:
Anwältin über Brüder von Dramé: "War für die beiden nicht mehr auszuhalten"
Zu diesem Zeitpunkt sind die Brüder nicht mehr im Gericht. "Denen geht es nicht gut. Sie haben heute am dritten Tag infolge immer den Tatablauf gehört und dann auch noch in dieser technischen Polizeisprache. Das war für die beiden nicht mehr auszuhalten", erklärt ihre Anwältin Lisa Grüter. Zur möglichen Urteilsverkündung im September sind sie vielleicht wieder anwesend.
Der geflüchtete Mouhamed Dramé befand sich im August 2022 in einer psychischen Krise. Die Polizei rückt an - ein Beamter verletzt ihn mit Schüssen tödlich. Nun startet der Prozess.