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Polizeigewalt in Frankreich:Symbolischer Sieg im Fall Théo Luhaka
von Carolin Auen
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Zwölf Monate auf Bewährung. So lautet das Urteil für den Hauptangeklagten, einen Polizisten, der Théodore Luhaka bei einer Festnahme 2017 in Frankreich bleibende Schäden zufügte.
Der Fall sorgte in Frankreich für Aufsehen: Drei Polizisten sollen 2017 den damals 22-jährigen Théo Luhaka bei einer Kontrolle schwer misshandelt haben.19.01.2024 | 2:11 min
2. Februar 2017, eine Personenkontrolle im Pariser Vorort Aulnay-sous-Bois. Innerhalb von Minuten eskaliert die Situation. Der 22-jährige Théodore Luhaka wehrt sich gegen die drei Polizisten, verliert seine Jacke, die Hose rutscht ihm von der Hüfte. Er geht zu Boden, wird geschlagen und mit Tränengas besprüht.
Schließlich wird er von den Beamten wieder hochgezogen, während sie versuchen, ihm die Handschellen anzulegen. Ein Polizist steht hinter Luhaka, versetzt ihm mit der Spitze seines Teleskop-Schlagstocks einen Stoß auf das Gesäß, zerreißt damit die Unterhose und dringt zehn Zentimeter tief in die Haut ein, verletzt den inneren Schließmuskel.
Überwachungskamera dokumentierte den Vorfall
Ein Stoß, der, wenn wie in der Polizeischule gelehrt auf den Oberschenkel angewendet, den Gegner buchstäblich in die Knie zwingen soll. Luhaka sinkt zu Boden, es treffen ihn noch mehrere Schläge.
Eine städtische Überwachungskamera dokumentiert das Geschehen. Der Fall Théo wird schnell zum neuesten Beispiel der Polizeigewalt in Frankreich. Verdeutlicht, wie schnell die Situation eskalieren, wie leicht ein Mensch schwer verletzt werden kann.
Struktureller Konflikt in den Banlieues
Zyed und Bouna, Adama Traoré, Cédric Chouviat, Nahel Merzouk, die Liste der Opfer von Polizeigewalt in den französischen Banlieues ist lang. Immer wieder geraten Polizisten und die Zivilbevölkerung aneinander.
Insbesondere die Banlieues, die Vororte der französischen Großstädte, gelten als Epizentren dieser Konflikte.
Fabien Jobard ist als Politologe spezialisiert auf die Polizei in Frankreich. Er beschreibt dieses System als Erben des autoritären Regimes in Frankreich, in dem die Polizei als Exekutive der Macht agiere. "In diesem System ist die Toleranz der Polizei gegenüber der Unordnung sehr schwach."
Zwischen Feindbild und Misstrauen
Für Loïc Walder der Polizeigewerkschaft UNSA hat der regelmäßige Ausbruch des Konfliktes in der Banlieue viele Gründe: Einerseits gebe es heute keine Nachbarschaftspolizei mehr, "mit ihrer Abschaffung hat man zwangsläufig viel verloren, was die Beziehungen zu den Jugendlichen angeht und die Möglichkeit, ihnen zu erklären, was unsere Aufgabe ist".
Gleichzeitig erkennt Walder auch an, dass die Arbeit in den Brennpunkten der Banlieue auch eine Auswirkung auf die Polizist*innen habe:
Heute werde der Polizist in manchen Vierteln als Feind gesehen.
Dominique Sopo, Präsident der Organisation SOS Racisme spricht statt von dem Feindbild Polizei von der Angst vonseiten der Bevölkerung. Angst vor einer Polizei, die sich gewalttätig, aggressiv und diskriminierend verhalte. Eine Verbesserung der Ausbildung für die Polizeikräfte vor Ort wäre ein erster Schritt.
"Sie werden nicht im Hinblick auf Vorurteile und Stereotype geschult, die sie selbst gegenüber Bevölkerungsgruppen haben könnten, denen sie täglich begegnen oder mit denen sie arbeiten." Diesen und weitere konkrete Lösungsvorschläge für Staat, Polizei und Bevölkerung in Brennpunkten hatte SOS Racisme 2018 erarbeitet und vorgestellt. Ob sich seitdem etwas verändert habe? "Nein."
Französische Gesellschaft akzeptiert das harte Durchgreifen
Immer folgen die Fälle dem gleichen Schema: Gewalt, Demonstrationen, Mediatisierung, dann Stille. Fabien Jobard benennt die Kultur hinter diesem Rhythmus.
Schließlich begegnet die Jugend der Problemviertel den Einsatzkräften auch nicht gerade sanft. Dominique Sopo beschreibt zusätzlich eine Leugnung des Themas: "Wenn man ein Problem lösen will, muss man es auch als solches benennen." Dies tue in Frankreich weder das Innenministerium noch die Polizei oder die Regierung.
Auch nach der Urteilsverkündung bleibt Sopo pessimistisch, er habe sich eine Öffnung der öffentlichen Debatte um Polizeigewalt und ihre Prävention erhofft.
Für Théodore Luhaka bedeutet das Urteil laut Anwalt Antoine Vey aber vor allem das Ende von "sieben Jahren juristischem Martyrium". Ein Sieg und eine symbolische Entscheidung für die Opfer von Gewalt.
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