Orte ohne Supermarkt: KONSUM verlässt Kohren-Sahlis
KONSUM verlässt Kohren-Sahlis:Leben in Orten ohne Supermarkt
von Thomas Bärsch
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Etliche Lebensmittelgeschäfte geben im Kampf gegen die Supermärkte auf. Doch die sind oft weit weg. Zurück bleiben Orte ohne Lebensmittelversorgung.
"Ich fühle mich betrogen", sagt die 80-jährige Siegrid Barthel und weist auf den Brief in ihren Händen. Der Brief von der KONSUM-Genossenschaft, bei der sie schon zu DDR-Zeiten Marken klebte für ein paar Prozent Rabatte am Jahresende. In dem Schreiben berichtet der KONSUM stolz von Umsatzsteigerungen und fast einer Million Euro Gewinn, und das "trotz umfangreicher Investitionen in das Filialnetz".
In seiner Filiale in Kohren-Sahlis, vierzig Autominuten von Leipzig entfernt, hat der KONSUM nichts investiert. Und er hat Siegrid Barthel, seiner treuen Genossenschaftlerin auch nicht mitgeteilt, dass sie in Zukunft ohne KONSUM-Filiale in Kohren-Sahlis auskommen muss.
Kleine Läden verschwinden immer weiter. Ist der vollautomatisierte Tante-Emma-Laden eine Lösung?
Immer mehr Geschäfte verließen den Ort
Der nächste Lebensmittelladen liegt sieben Kilometer entfernt. Das sind für eine 80-jährige Dame etwa 30 Fahrradminuten. Über Berg und Tal, einfache Strecke - jetzt, im Sommer. Der Bus fährt selten in Kohren-Sahlis. "Das ist für alle traurig", stellt Barthel klar.
Heidi Steglich hält seit der Wende erfolgreich den Ruf der Stadt als Zentrum des Töpferhandwerks hoch. "Das Sterben fängt ja nicht mit dem KONSUM an", sagt die Unternehmerin und beginnt eine Aufzählung, die den Besucher sekündlich trauriger zurücklässt. "Vor vielen Jahren ging das los. Wir hatten einen Schuhladen, der schloss, dann der Schreibwarenladen, Gaststätten, Banken und Sparkassen. Dann folgte der Apotheker und nun der KONSUM."
Bundesweit schließen Banken immer mehr Filialen - so auch die Sparkasse. In den letzten drei Jahren reduzierte die Bank hierzulande ihr Filialnetz von knapp 9.000 auf gut 7.700 Sparkassen-Standorte.31.05.2023 | 2:31 min
Auch die Sparkasse schließt immer mehr Filialen:
Kohren-Sahlis: Ein Ort wie gemacht für den Tourismus
Wer in Kohren-Sahlis spazieren geht, kann sich kaum dem Reiz des Ortes entziehen. Gepflegte Vorgärten, herausgeputzte Häuser, unzählige Fotomotive in den geschwungenen Gassen, die sich durch die Häuser winden - manchmal gesäumt vom plätschernden Bach, der die Stadt durchzieht.
Ein Ort wie gemacht für den Tourismus. Erst kürzlich stellte die Politik 600.000 Euro für die Sanierung der Türme der Burg Kohren bereit. "Aber wenn dann mal Touristen kommen und nach der Burgbesichtigung was zu essen kaufen wollen oder zu trinken", zeigt sich Töpferin Steglich skeptisch, "dann wollen die sich ja nicht gleich wieder ins Auto setzen."
Reisen ist wieder in. Im Reisejahr 2023 wollen die Deutschen mehr für Urlaub ausgeben als vor Corona. Ausland- und Fernreisen steigen an, Inlandsurlaube sind teuer, aber weiterhin beliebt.07.02.2023 | 1:37 min
Die Reiselust ist zurück:
Auf der Suche nach Ursachen und Schuldigen trifft der Besucher auf verständnisvolle Einwohner. Klar müsse auch ein KONSUM Profit machen, sagt ein Spaziergänger. Ein anderer bemerkt, im bayerischen Wald sei es nicht anders. Vielleicht, so ein dritter, solle man lieber in ein stabiles Busnetz investieren und nicht in schnellere Glasfaserleitungen. Erst kürzlich seien ihm 250 Mbit in seiner Wohnung angeboten worden.
Lebensmittelgeschäft schließt: Suche nach Schuldigen
Auf dem Kohrener Markt führt ein Pärchen gleich sechs Hunde-Damen aus. Tally, Penny-Lane, Jette, Uschi, Luni und Emmi. Die Hunde lauschen aufmerksam unserem Gespräch, doch das Paar will ihre Namen nicht verraten.
Immer mehr Geschäfte oder Betriebe schließen für immer. Nicht nur in den Innenstädten, auch in den Vororten und auf dem Land wird die Auswahl immer kleiner. Was tun?
von Klaus Weber
"Ein bisschen Schuld trägt auch die Politik daran, dass keine Kunden mehr zum KONSUM kommen", meint der Mann und verweist auf die Straße ins benachbarte Eckersberg, wo es auch keinen Laden mehr gibt. Doch ebendiese Straße sei seit Monaten gesperrt, aus Reparaturgründen. "Und die Umleitung führt eben nahe an Frohburg vorbei und damit auch an den Supermärkten dort", ärgert sich der Mann - seine Partnerin nickt.
Offenbar zeigen zwei Discounter Interesse am KONSUM-Gebäude. Was bleibt ist also ein Hauch Optimismus und die Energie, in Kohren-Sahlis nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Siegrid Barthel zum Beispiel, die enttäuschte KONSUM-Genossenschaftlerin, betreibt im Stadtmuseum eine Ausstellung über Kohren, wie es einmal war. Ihren Genossenschaftsanteil will sie aus dem KONSUM zurückziehen. 100 Mark der DDR hatte sie einmal investiert. Für sie war und ist es viel mehr als nur eine symbolische Summe.