Katholische Kirche: Ohne radikale Reformen keine Zukunft

    Kommentar

    Katholische Kirche:Ohne radikale Reformen keine Zukunft

    Porträt Jürgen Erbacher
    von Jürgen Erbacher
    |

    Die Austrittszahlen zeigen: Die katholische Kirche ist im freien Fall. Nur wenn sie Vertrauen zurückgewinnt, die Kluft zwischen Leben und Lehre schließt, hat sie eine Chance.

    Kommentar von Jürgen Erbacher zum Kirchenaustritt
    Quelle: ZDF/dpa

    Mehr Menschen als jemals zuvor verlassen die katholische Kirche. Einer der Hauptgründe für die Austritte sind mangelnde Reformen - das zeigen Studien. Die Bischöfe müssen also ernst machen mit Veränderungen. Dazu gehören der Zugang zu allen Ämtern für Frauen, die Aufhebung des Pflichtzölibats und eine Reform der Sexualmoral.
    Hier gibt es eine kleine Minderheit von Bischöfen in Deutschland, die diese Veränderungen verhindern will. Auffallend ist, dass gerade ihre Bistümer zu denen gehören, die von 2021 auf 2022 die größten Steigerungen bei den Austritten hatten, etwa Regensburg, Passau oder Eichstätt. Die Mehrheit der Bischöfe, die Veränderungen will, muss diese nun konsequent umsetzen, trotz des Widerstands der Minderheit.

    Dialog mit Vatikan erforderlich

    Dazu braucht es einen direkten Dialog mit dem Vatikan. Denn einerseits kommt auch vom Papst und seinen engsten Mitarbeitern Gegenwind, andererseits können viele Reformen nur mit Zustimmung oder mindestens Billigung Roms umgesetzt werden. Aktuell herrscht allerdings weitestgehende Funkstille zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Vatikan. Von einigen Briefen abgesehen scheint der Gesprächsfaden gerissen. Das gilt auch für die Laien.
    Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken - die wichtigste Vertretung der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland - versäumte es in den vergangenen Jahren, durch vertrauensbildende Maßnahmen mit an Brücken zu bauen, die eine tragfähige Basis für kontroverse Reformdebatten bieten. Bischöfe und Laien warten aktuell auf Einladungen aus Rom, statt selbst die Initiative zu ergreifen und dort vorstellig zu werden.

    Rückschläge bei Missbrauchsaufarbeitung

    Daneben erschüttern Rückschläge bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals immer wieder neu das Vertrauen in die katholische Kirche, zuletzt die Diskussion um die Höhe von Entschädigungszahlungen. Die unabhängige Kommission der Bischöfe erkannte Betroffenen bisher durchschnittlich knapp mehr als 20.000 Euro zu. Ein Gericht in Köln hatte einem Betroffenen zuletzt eine Summe von 300.000 Euro zugesprochen.
    Die Bischöfe wollen nachziehen. Doch viele Betroffene beklagen, dass die Kirche hier zu zögerlich sei und eine Vorbildrolle hätte einnehmen können, indem sie von Anfang an freiwillig höhere Zahlungen geleistet hätte. Dazu vermissen die Menschen, dass Bischöfe Verantwortung für die Fehler der Institution übernehmen und zurücktreten. Bisher ist das nur einmal geschehen im Falle des Osnabrücker Bischofs Franz Josef Bode, der im März zurückgetreten ist.

    Fall Woelki: Rom schweigt statt zu handeln

    Die Debatten um den Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, erschüttern zudem viele Menschen. Hier entsteht der Eindruck, dass ein Kirchenmann sich nur unter Einsatz erheblicher Geldmittel für Beratung und Rechtsbeistand im Amt hält, während der Kontakt zur Mehrheit der Gläubigen längst verloren ist.
    Jüngst musste Woelki seine Teilnahme an der Heiligtumswallfahrt in Aachen absagen, weil Proteste beim Gottesdienst erwartet wurden. Die Krise ist also auch eng mit Personalfragen verbunden. Hier müsste der Papst handeln. Doch Rom schweigt.

    Kirchen müssen sich Gesellschaft wieder annähern

    Die Mehrheit der Bischöfe, die zu Reformen bereit ist, muss nun mutig voranschreiten. Neben den Strukturfragen muss sie sich wieder verstärkt den Menschen zuwenden. Das gilt auch für die evangelische Kirche, deren Situation mit rund 380.000 Kirchenaustritten im Jahr 2022 nicht viel besser ist.







    Die Kirchen müssen eine Stimme werden für die, die angesichts der rasanten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen große Zukunftsängste haben. Auch das könnte Vertrauen schaffen: raus aus den Limousinen und kirchlichen Verwaltungsburgen, hinein ins echte Leben im Einsatz für soziale Gerechtigkeit und eine nachhaltige Entwicklung - Themen, die die Menschen umtreiben und die eigentlich zum Kerngeschäft der Kirchen gehören.