BVerfG: Zwangsbehandlung von Betreuten nicht nur in Klinik

    Bundesverfassungsgericht:Zwangsbehandlung von Betreuten auch ambulant

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    Sollten Menschen, die rechtlich betreut sind, zwangsweise medizinisch behandelt werden, dann kann das in Ausnahmefällen auch ambulant geschehen. Das hat Karlsruhe so geurteilt.

    Aussenaufnahme des Bundesverfassungsgerichtes mit dem Schriftzug Bundesverfassungsgericht.
    Ärztliche Zwangsmaßnahmen an Menschen, die rechtlich betreut sind, müssen nicht unbedingt in einem Krankenhaus stattfinden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden.
    Quelle: dpa/Uli Deck

    Rechtlich betreute Menschen müssen nicht in jedem Fall stationär ins Krankenhaus, wenn sie zwangsweise medizinisch behandelt werden müssen. Die betroffene gesetzliche Regelung sei mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit teils unvereinbar, erklärte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Stephan Harbarth, bei der Urteilsverkündung. Ausnahmen können demnach in bestimmten Fällen gemacht werden. (Aktenzeichen: 1 BvL 1/24)
    Eine mit einem Textilband festgebundene Hand eines Patienten, Archivbild
    Die Hürden für medizinische Zwangsmaßnahmen sind sehr hoch. Das Bundesverfassungsgericht prüfte nun, ob die Patienten dafür immer in eine Klinik gebracht werden müssen.16.07.2024 | 2:34 min
    Rechtlich betreut werden Menschen, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht alles selbst entscheiden können. Wenn sie dringend medizinisch behandelt werden müssen, aber nicht einwilligen, können sie zwangsweise behandelt werden. Davon betroffen sind vor allem psychisch Kranke, Menschen mit geistiger Behinderung und Demenzpatienten. Jährlich werden geschätzte 4.000 Patienten ohne ihr Einverständnis zwangsbehandelt.

    Regelung muss bis 2026 geändert werden

    Bislang war vorgeschrieben, dass eine solche Behandlung nur in einem Krankenhaus stattfinden darf. Dagegen zog der Betreuer einer Frau vor den Bundesgerichtshof. Die Frau würde in der Klinik retraumatisiert, gab er an. In der Vergangenheit habe sie teils fixiert werden müssen und einen Spuckschutz bekommen, um zur zwangsweisen Behandlung in die Klinik gebracht zu werden.
    „Vorhaben aus Angst vor Verfassungsfeinden“
    Mit einer Reform soll das Bundesverfassungsgericht besser vor politischer Einflussnahme geschützt werden. ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke ordnet ein.23.07.2024 | 3:00 min
    Der Bundesgerichtshof legte die Frage dem Verfassungsgericht vor. Dieses entschied nun, dass diese Regelung bis Ende 2026 geändert werden muss. Eine Ausnahme definierte es unter bestimmten Voraussetzungen - nämlich wenn erstens Betreuten bei der Behandlung im Krankenhaus eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit droht und zweitens dieses Risiko bei einer Behandlung in ihrer Wohneinrichtung deutlich reduziert wird und diese zudem eine gute medizinische Versorgung bietet.

    Entscheidung nicht einstimmig gefallen

    Der Krankenhausvorbehalt sei insofern nicht verhältnismäßig, wenn Betroffenen dadurch erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit drohen, so Harbarth. Diese Beeinträchtigungen müssten zudem in der Einrichtung, in der die Betroffenen untergebracht sind und die einen notwendigen Krankenhausstandard nahezu erreicht, vermieden oder zumindest signifikant reduziert werden können.
    Die Entscheidung des Ersten Senats des Verfassungsgerichts fiel nicht einstimmig, sondern erging mit fünf zu drei Stimmen. Verfassungsrichter Heinrich Amadeus Wolff gab eine abweichende Einschätzung zu Protokoll: Er sieht die Gefahr, dass durch die Entscheidung die Schutzstandards bei Zwangsbehandlungen abgesenkt werden könnten.

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    Quelle: ZDF

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    Quelle: AFP, dpa, KNA

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