Callcenter-Abzocke: Perfide Jagd auf deutsche Anleger
Exklusiv
Callcenter-Abzocke:Perfide Jagd auf deutsche Anleger
von S. Baumann, M. Kudermann, B. Obermayer, M. Orosz
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Aus einem Callcenter in Georgien zocken junge Menschen europaweit Anleger ab. Ein Leak zeigt, wie gut organisiert die Masche ist. Ermittler sprechen von Zehntausenden Geschädigten.
Cybertrading gilt aktuell als bedeutendste Form des Internetbetrugs, mit Schäden in Milliardenhöhe - ZDF frontal ist mit einem internationalen Rechercheteam den Abzockern auf der Spur.05.03.2025 | 15:07 min
Die meisten Opfer von Internetbetrug sprechen nicht gern darüber, wie sie abgezockt wurden. Klaus Schuster, ehemaliger Luftwaffenoffizier aus Bayern, erlebte selbst, wie professionell Cyberkriminelle agieren.
Im Frühling 2024 stieß er auf eine Webseite, die für ein Investment von 250 Euro hohe Gewinne versprach. Schuster wurde neugierig und ließ sich fast täglich von seinem neuen Finanzberater die Bewegungen auf dem Finanzmarkt erklären.
Sein vermeintliches Investment lief zunächst auch sensationell, und Schuster stockte immer weiter auf, investierte immer mehr Geld. Am Bildschirm konnte er Charts anschauen, mitverfolgen, wie sein Geld sich vermehrte - angeblich.
Ermittler sprechen von "Cybertrading"
Erst als er erfolglos versuchte, sich etwas von seinem Gewinn auszahlen zu lassen oder wenigstens seinen Einsatz zurückzubekommen, ahnte er, dass er einem Betrug aufgesessen war. Die 10.000 Euro, die er investiert hat, wird er wohl nie wieder sehen. Im Gespräch mit ZDF frontal sagt er:
Das hat mit einem Enkelbetrüger überhaupt nichts zu tun, sondern das sind ganz andere Kaliber.
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Klaus Schuster
Cyber-Kriminalität kennt keine Grenzen. Allein im letzten Jahr zählten die Ermittler 190.000 Fälle, wobei die tatsächliche Zahl der Angriffe höher liegen dürfte.13.05.2024 | 1:43 min
Die Falle, in die Schuster tappte, nennen Ermittler "Cybertrading". Sie gilt aktuell als die bedeutendste Form des Internetbetrugs, mit Schäden in Milliardenhöhe: "Es sind jedes Jahr definitiv Zehntausende von Personen konkret geschädigt in Deutschland durch diese Art des Betruges", sagt Nino Goldbeck, Oberstaatsanwalt bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern.
Abzocke-Callcenter macht 35 Millionen Dollar Umsatz
Recherchen von ZDF frontal zeigen nun, wer hinter Schusters Abzocke steckt und wie lukrativ das kriminelle Callcenter-Geschäft ist. Ein anonymer Whistleblower übergab zahlreiche Unterlagen, darunter Aufzeichnungen von Telefonaten und Bildschirmaufnahmen, an den schwedischen Fernsehsender SVT.
Der Datensatz stammt zum Teil aus dem Callcenter, das Klaus Schuster und weltweit mehr als 6.000 andere abgezockt haben soll. Die Reporter teilten die geleakten Daten dann mit internationalen Journalisten, darunter ZDF frontal und "Spiegel". Koordiniert wurde die Recherche vom "Organized Crime and Corruption Reporting Project" (OCCRP).
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Die Callcenter-Abzocker, die neben Schuster wohl Hunderte weitere deutsche Kunden getäuscht haben, werden aus der georgischen Hauptstadt Tiflis gesteuert. Die A.K. Group - laut Firmenregister ein Telemarketingunternehmen - betreibt dort mutmaßlich mehrere Callcenter.
Die Firma machte laut interner Buchhaltung in den vergangenen 2,5 Jahren etwa 35 Millionen Dollar Umsatz. Allein deutschen Kunden sollen laut den vorliegenden Unterlagen seit Juli 2023 mehr als vier Millionen Dollar aus der Tasche gezogen worden sein.
Auch ein Deutscher arbeitete im Abzocke-Callcenter
Schusters Finanzberater stellte sich bei ihm als Marcel van de Veen vor. Doch aus dem Leak wird klar: Marcel van de Veen heißt eigentlich anders und täuschte nicht nur die vermeintlichen Investitionen vor, sondern hatte auch einen gefälschten Personalausweis.
Er gab sich als erfahrener Vermögensverwalter aus und versprach Schuster eine Gewinngarantie. ZDF frontal gelang es, Schusters Abzocker aus Tiflis zu identifizieren: Marcel van de Veen kommt eigentlich aus einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen und heißt in Wahrheit Manuel R.
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An seiner Meldeadresse trifft ZDF frontal nur die Mutter des Mannes an. Sie will von nichts gewusst haben. Wenig später ruft ihr Sohn Manuel R. mehrfach die recherchierenden Journalisten an und bestreitet, je für ein Callcenter der A. K. Group gearbeitet zu haben. Sein Name sei missbraucht worden.
Doch am Telefon ist dieselbe Stimme zu hören, die ZDF frontal aus Hunderten von aufgezeichneten Anrufen aus dem geleakten Datensatz kennt. Die Staatsanwaltschaft in Georgien kündigte auf ZDF-Anfrage an, die Aktivitäten der Firma zu prüfen. Die A.K. Group reagierte auf Anfragen der Recherchepartner nicht.
Cybertrading - aktuell so lukrativ wie Drogenhandel
Für Interpol, die weltweit größte Polizeiorganisation, gilt Cybertrading mittlerweile als die neue Form der Organisierten Kriminalität. Die Ermittler schätzen den jährlichen Gewinn aus Online-Kriminalität weltweit auf 500 Milliarden US-Dollar.
Quelle: ZDF
Mehr zu diesem Thema sehen Sie am Dienstag, 11. März 2025, um 21 Uhr in der ZDF-Sendung frontal - und bereits jetzt in der ZDF-Mediathek.
Mit Cyberkriminalität ließen sich heute ähnliche Gewinne erzielen wie durch den internationalen Drogenhandel, sagt Jürgen Stock, ehemaliger Interpol-Generalsekretär im Gespräch mit ZDF frontal.
Das Laptop ist heute das schärfste Schwert im Arsenal von kriminellen Gruppierungen.
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Jürgen Stock, ehemaliger Interpol-Generalsekretär
Betroffene können in den seltensten Fällen hoffen, dass sie ihr Geld zurückbekommen. Doch die jahrelangen Ermittlungen an der Zentralstelle Cybercrime in Bamberg sind nicht erfolglos: Den Ermittlern gelang es, einen Kopf eines kriminellen Callcenter-Netzwerks zu verhaften und 2024 nach Deutschland ausliefern zu lassen.
Das hat sich auch in der Szene herumgesprochen: Manche betrügerischen Callcenter verzichten wohl seitdem lieber auf ihre "Kunden" aus Deutschland.
Quelle: dpa
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