Kritik an U-Boot-Betreiber: Was an den Vorwürfen dran ist

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    Kritik an U-Boot-Betreiber:Was an den Vorwürfen dran ist

    ZDF-Reporterin und Titanic-Expertin Brigitte Saar im Gespräch mit ZDFheute live.
    von Brigitte Saar
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    Nach dem Verschwinden des Tauchboots "Titan" auf der Expedition zum "Titanic"-Wrack werden Sicherheitsbedenken laut. Die wichtigsten Vorwürfe gegen die Betreiber im Überblick.

    Seit Sonntag ist das Tauchboot "Titan" im Nordatlantik verschollen. Die Firma OceanGate hatte mit ihm seit Mitte Mai zahlende Kunden zum Wrack der "Titanic" befördert. Am Sonntag waren fünf Menschen an Bord – ein Pilot, ein "Titanic"-Experte und drei zahlende Taucher.
    Die Suche nach der Kapsel läuft auf Hochtouren, über Sonarbojen hat man Klopfgeräusche vernommen und sucht nun nach der Quelle. Gleichzeitig werden immer mehr Stimmen laut, die Vorwürfe und Sicherheitsbedenken zur "Titan" äußern.
    Diese Vorwürfe stehen im Raum:

    • "Die 'Titan' ist nicht für die angegebene Tauchtiefe von bis zu 4.000 Metern lizensiert" ...

    … berichtet unter anderem die englische Zeitung Daily Mail. Das stimmt, es gibt kein Gutachten von unabhängigen Dritten, die eine sogenannte Klassifizierung vorgenommen hätten. OceanGate-CEO Stockton Rush, der als Chefpilot der Kapsel zu den im Atlantik verschollenen Tauchern zählt, begründete das bei der Einführung der Kapsel vor drei Jahren damit, dass das Design derart innovativ und anders sei, dass es keine sinnvollen Testmöglichkeiten gegeben habe.
    Man hätte, so sein Argument, sonst Monate, vielleicht auch Jahre warten müssen, um einen Anbieter zu finden, der die Klassifizierung überhaupt vornehmen kann. Die bisherigen Titanic-Tauchkapseln haben alle eine Metallkugel als Druckkörper für die Mannschaft, die "Titan" hingegen besitzt erstmals eine 13 Zentimeter dicke Röhre aus gewickelten Kohlefasern, die tatsächlich anders als die Kugeln getestet werden müsste.

    • "Die Überlebenssphäre der 'Titan' kann nicht von innen geöffnet werden" ...

    … berichten mehrere Kunden von OceanGate, die in der Vergangenheit bereits mit der "Titan" zur "Titanic" getaucht sind. Das stimmt. Der "Dom" - die vordere Halbkugel, die für den Einstieg abgenommen und anschließend wieder aufgesetzt und verschlossen wird, muss von außen mit langen Schrauben fixiert werden.
    Die Besatzung des verunfallten Mini-Tauchboots kann also, sollte es tatsächlich irgendwo an der Oberfläche schwimmen, nur mit Hilfe von außen die Kapsel verlassen und auch nicht eigenständig Luft an Bord nehmen.
    Die vergleichbaren Tauchboote anderer Betreiber haben teils die Möglichkeit, die Einstiegsluke von innen zu öffnen.  Allerdings: Diese Tauchkapseln liegen, an der Meeresoberfläche schwimmend, derart tief im Wasser, dass bei geöffneter Luke sofort Wasser eindringen würde und sie binnen Minuten sinken. Ein Warten auf Hilfe bei geöffneter Luke wäre also auch dort nicht möglich.

    • "Die 'Titan' wird wie ein Spielzeug gesteuert" ...

    … kommentieren Zuschauer im Web als Reaktion auf einen schon länger zurückliegenden Beitrag des US-Senders CBS, der im Internet zu finden ist. In dem Video ist klar zu sehen: Die Befehle für die Steuerung des Kapselantriebs gibt der Pilot tatsächlich über einen handelsüblichen Gamekonsolencontroller an den Bordcomputer weiter.
    Die Software dahinter hat aber nichts mit einem Spielzeug zu tun, sie koordiniert die verschiedenen Propeller und Sensoren an der Kapsel. OceanGate hatte die Steuerung selbst als "besonders intuitiv" und "leicht zu bedienen" bezeichnet. So könne im Zweifelsfall auch jemand außer dem Piloten die Steuerung übernehmen.
    In der Infografik wird gezeigt, wie tief das Tauchboot "Titan" im Vergleich zum Menschen und Militär-U-Booten tauchen kann. Der Mensch kann in speziellen Druckanzügen bis zu 460 Meter tief tauchen. Einige Militär-U-Boote bis zu 1.000 Metern. Das Ziel des Tauchboots Titan - das Wrack der Titanic - liegt in 3.800 Metern Tiefe.

    • Das Kapseldesign wirkt "wie bei MacGyver improvisiert" ...

    Dieses Zitat stammt von CBS-Reporter David Pogue, der die Titan unter die Lupe nehmen konnte und mit dem Mini-Boot auch eine kurze Tauchfahrt absolvierte. Unter anderem staunt Pogue, dass als Ballastgewichte handelsübliche Rohre aus dem Haus- und Straßenbau zum Einsatz kommen. 
    In dem Bericht betont die Betreiberfirma OceanGate gleichzeitig, dass die kritischen Bauteile - wie der Druckkörper - nicht billig oder improvisiert seien; bei der Planung und dem Bau der Kapsel seien Experten von der Nasa und von Boeing beteiligt gewesen. Beim nicht so kritischen Drumherum könne man hingegen ohne Abstriche kreative Lösungen finden.
    Der Straubinger Geschäftsmann Arthur Loibl berichtet ebenfalls von Improvisation während der 2021er Expedition zur Titanic. Er war einer der ersten zahlenden Kunden, die mit der "Titan" zum Wrack getaucht sind. Als sich bei seinem Tauchgang noch an der Wasseroberfläche eines der schon benannten Rohre löste, sei es wieder angebracht worden, während die Besatzung in der Kapsel warten musste - der Tauchgang habe dann ohne weitere Tests stattgefunden.

    • Das Design der Kapsel ist "experimentell" - innen sind "brennbare Materialien" verbaut ...

    ...kritisierte ein Mitarbeiter von OceanGate schon 2018 – daraufhin wurde ihm wegen der Weitergabe vertraulicher interner Dokumente gekündigt. David Lochridge hat dagegen geklagt und beruft sich darauf, im Sinne der Sicherheit künftiger Passagiere gehandelt zu haben, was es rechtfertige, zum Whistleblower zu werden. Eine richterliche Entscheidung in der Sache steht noch aus.
    Eine genaue Beurteilung, welche dieser Aspekte nun tatsächlich die Sicherheit bei Tiefseetauchgängen gefährden und welche nicht, kann aber nur juristisch oder über einen Gutachter stattfinden.
    Brigitte Saar ist Redakteurin im ZDF-Landesstudio München in Bayern. Sie ist schon einmal zum "Titanic"-Wrack hinabgetaucht.

    Expedition im Atlantik
    :Was den "Titanic"-Tauchgang so riskant macht

    Brigitte Saar ist bereits zum "Titanic"-Wrack hinabgetaucht. Sie erklärt, wie eine Mission abläuft, wer an Bord ist - und was eine Expedition besonders gefährlich macht.
    Ein Tauchboot des Unternehmens OceanGate Expeditions, das im Wasser schwimmt.
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