Obwohl die Polizei den Tunesier monatelang observierte und seine Telefone überwachte, fand sie keinen Grund, ihn vor dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt aus dem Verkehr zu ziehen. Amri hätte jedoch Monate vor dem Anschlag, den er am 19. Dezember 2016 verübte, verhaftet werden können, so die Task Force.
Polizei machte hunderte Fehler
Die Prüfer stellten 254 Mängel bei den Ermittlungen gegen Amri fest. "Davon hatten 32 Auswirkungen auf das Ermittlungsergebnis und waren somit den beiden höchsten Fehlerkategorien zuzuordnen“, heißt es in dem 188-seitigen Bericht. Einer der Fehler: Die Polizei hörte Hunderte von Chats und Telefonaten Amris zum Drogenhandel ab, ließ aber 26 Prozent der auf Arabisch geführten Gespräche nicht auswerten.
Dennoch hatte die Berliner Polizei durch Überwachungsmaßnahmen herausgefunden, dass Anis Amri im Sommer 2016 in Berlin in großem Stil Drogen verkaufte. Eine Staatsschutzbeamtin verfasste dazu einen umfassenden Bericht und legte mehrere Dutzend Telekommunikationsüberwachungsprotokolle bei. Das hätte zu einem Haftbefehl führen können. Doch zwei ihrer Kollegen veränderten den Bericht über Amri und machten den Tunesier, der des gewerbsmäßigen Drogenhandels verdächtigt wurde, zum "Kleinstdealer". Das kritisiert die Taskforce scharf: In dem manipulierten Bericht seien "durch Auslassungen Informationen unangemessen gerafft und falsch dargestellt worden, bis er der Sachlage deutlich widersprach". Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen die Polizisten wegen der Aktenmanipulation wenige Tage vor Erscheinen des Taskforce-Berichts ein.
"Fachlich mangelhafte" Ermittlungen
Am 11. Juli 2016 war Anis Amri in eine Messerstecherei unter Drogendealern in die Neuköllner "Novoline-Bar" verwickelt, bei der ein Mann lebensgefährlich verletzt wurde. Die Taskforce stellt jetzt fest, "dass Amri Tatverdächtiger einer gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung ist." Es wäre daher möglich gewesen, "Antrag auf Erlass eines Haftbefehls ganz konkret für alle Beschuldigten zu stellen."
Die Berliner Polizei hätte zudem, so der Bericht, gegen Amri wegen versuchter Tötung und nicht nur wegen gefährlicher Körperverletzung ermitteln können. Doch die Beamten werteten Videos vom Tathergang "fachlich mangelhaft" und zudem erst zweieinhalb Monate nach der Tat aus. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen Amri am 7. Dezember vorläufig ein, weil der Tunesier angeblich unauffindbar war. Zwölf Tage später verübte er den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz, bei dem zwölf Menschen starben.
Die Mitglieder des Berliner Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz können den Bericht der Taskforce "Lupe" seit dem 16. April einsehen. Ausschussmitglied Marcel Luthe, FDP, kritisiert, dass der Berliner Senat den Abgeordneten die von der Task Force ausgewerteten Dokumente noch immer vorenthält: "Seit Monaten ist der Untersuchungsausschuss hingehalten worden und hat die Telekommunikationsüberwachungsprotokolle nach wie vor nicht bekommen."