Fällt der Rechtsruck aus?
Die Europawahl geht in die heiße Phase: Bis zum 9. Juni können 360 Millionen Menschen aus den 27 EU-Staaten entschieden, wer sie in den kommenden fünf Jahren im Europäischen Parlament vertreten soll. Im Vorfeld hatten viele einen Rechtsruck prophezeit. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien haben zum Beispiel in Frankreich, Belgien, Österreich und Italien die Aussicht, auf den vorderen Plätzen zu landen.
Unklar ist, wie sich die Fraktionen aufstellen werden. Bisher gab es rechts von der Europäischen Volkspartei EVP eine Unterteilung in Nationalkonservative (Europäische Konservative und Reformer, kurz EKR) und Rechtsradikale (Identität und Demokratie, kurz ID). Zur letzten Fraktion gehörte neben der italienischen Lega und dem französischen Rassemblement National auch die AfD. Deren Abgeordnete waren jedoch nach dem Skandal um AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah ausgeschlossen worden. Hintergrund waren verharmlosende Äußerungen zur SS.
Die dominierenden Themen dieser Wahl sind angesichts des andauernden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und Putins Drohungen gegen die Nato-Partner vor allem Sicherheit und Frieden. Aber auch Migration und Asyl bestimmten die Debatte. Klimaschutz ist in den Hintergrund getreten.
Wie ist das Stimmungsbild in Deutschlands Nachbarländern? Liegen pro- oder anti-europäische Parteien vorn? Wie stellen sich Europas Rechte auf – bildet sich womöglich ein großes Rechts-Außen-Lager? Und welchen Einfluss haben nationale Ereignisse wie der tödliche Messerangriff in Mannheim auf das Ergebnis? Darüber diskutiert Victoria Reichelt mit den ZDF-Korrespondenten aus Brüssel, Gunnar Krüger, aus Paris, Thomas Walde, und aus Italien, Andreas Postel. Ebenfalls mit dabei: Politikwissenschaftlerin Prof. Sabine Kropp von der FU Berlin.
Wer darf überhaupt wählen?
In diesem Jahr sind 360 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, das EU-Parlament der nächsten fünf Jahre zu wählen. Zum ersten Mal dürfen in Deutschland Menschen ab
16 Jahren ihre Stimme abgeben – entweder persönlich im Wahllokal oder per Briefwahl. Anders als in Deutschland gibt es in Belgien, Bulgarien, Luxemburg, Griechenland und Zypern eine Wahlpflicht. Diese gilt auch für Deutsche, die in einem dieser Staaten zur Abstimmung zugelassen sind.
Hohes Interesse an der Europawahl
Experten erwarten in Deutschland eine ähnlich große Wahlbeteiligung wie bei der Wahl vor fünf Jahren. Mehr als die Hälfte der Deutschen (61%) gibt an, ein
starkes oder sehr starkes Interesse an der Europawahl in diesem Jahr zu haben. Schon bei der letzten Wahl im Jahr 2019 hatten ähnlich viele Menschen ein hohes Interesse bekundet (56%), während die Jahre zuvor eher von Desinteresse geprägt waren: 2014 gaben nur 38% der Befragten an, ein starkes oder sehr starkes Interesse an der Europawahl zu haben.
Die Grünen verlieren, Union und SPD unverändert
Wenige Tage vor der Europawahl zeichnen sich laut
aktuellem ZDF-Politbarometer im Vergleich zur Wahl 2019 deutliche Verluste für die Grünen ab, die damals ein Rekord-Ergebnis erzielten. SPD und Union hatten dagegen 2019 deutliche Verluste zu verzeichnen und können jetzt mit Ergebnissen auf ähnlichem Niveau wie vor fünf Jahren rechnen.
Damit ergäbe sich folgendes Stimmungsbild für die Parteien: Die Union käme auf 30% (unverändert gegenüber der Umfrage vor einer Wochen), die Grünen auf 14% (minus 1), die SPD auf 14%, die AfD auf 14% (beide unverändert), die Linke auf 3% (minus 1), die FDP auf 4% (unverändert), das BSW auf 7% (plus 1) und Volt auf 3%. Die anderen Parteien zusammen lägen bei 11%, darunter keine Partei, die mindestens drei Prozent erzielen würde.
720 Abgeordnete – 15 mehr als noch 2019
Deutschland entsendet als bevölkerungsreichstes EU-Land mit 96 Abgeordneten die meisten Vertreter, die wenigsten haben Zypern, Luxemburg und Malta mit jeweils 6. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sind die Deutschen unterrepräsentiert, weil jede und jeder Abgeordnete mehr Menschen vertritt als ihre Kollegen und Kolleginnen aus einem kleineren Land. Im Parlament haben die Stimmen der Abgeordneten dasselbe Gewicht - ganz gleich wie viele Einwohner ihres Landes sie vertreten.
Mit Material von: ZDF-Politbarometer, dpa