Warum begehen Menschen Suizid? | Terra-X-Kolumne

    Kolumne

    Terra X - die Wissens-Kolumne:Zehn Minuten, um einen Suizid zu verhindern

    von Ute Lewitzka
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    Es sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Mord oder HIV zusammen. Was wissen wir über Suizid und was kann getan werden, um die Zahlen zu senken?

    Terra X - Die Wissens-Kolumne: Uta Lewitzka

    Mehr als 10.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich durch Suizid. 10- bis 20-mal mehr Menschen versuchen, sich das Leben zu nehmen. Suizidalität ist stigmatisiert und der Entschluss, sich das Leben zu nehmen, wird oft als persönliche Entscheidung angesehen, die man respektieren und nicht hinterfragen soll. Doch in der Forschung und klinischen Therapie ist das Hinsehen und Hinterfragen wichtig.

    In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

    Warum und wie wird ein Mensch suizidal?

    Zahlreiche Studien untersuchten biologische, soziale, psychologische u.a. Ursachen von Suizidalität. So haben zum Beispiel (neuro-)biologische Forschungen einen Einfluss der Botenstoffe im Gehirn postuliert. Darüber hinaus werden unter anderem Veränderungen der Nervenzellfunktionen sowie Veränderungen der Funktionsfähigkeit des Immunsystems oder der Schilddrüsenfunktion erforscht.
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    Auch Umweltfaktoren wie Hitze, Licht und Lärm werden in Zusammenhang mit einem Suizid gebracht. Soziale Faktoren wie Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme und Einsamkeit spielen ebenfalls eine bedeutsame Rolle.
    Zu den wichtigsten Faktoren zählt das Vorliegen einer psychischen Erkrankung wie zum Beispiel eine Depression. Darüber hinaus sind das Erleben von Krisen, Traumatisierungen, Flucht, körperlichen Erkrankungen, Verluste und Kränkungen als bedeutende Einflüsse zu nennen.




    Wissenschaft: Vielzahl von Faktoren und Bedingungen

    Wissenschaftlich bewiesen ist, dass es nicht den einen Grund gibt, warum ein Mensch Suizid begeht. Vielmehr liegen oft eine Vielzahl von Faktoren und Bedingungen vor.
    Psychologische Erklärungsmodelle beschreiben ebenfalls das Vorliegen mehrerer Bedingungen: das Gefühl, nicht dazuzugehören, das Gefühl, für andere eine Last zu sein sowie die Fähigkeit zum Suizid. Dabei ist jeder dieser Faktoren beeinflussbar.
    Zukünftige Forschung soll dazu beitragen, anhand dieser vielen einzelnen Faktoren besser voraussagen zu können, welche Personen besonders gefährdet sind, um hier rechtzeitig Prävention zu ermöglichen.
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    Wie kann man erkennen, dass ein Mensch suizidal ist?

    Betroffene zeigen möglicherweise ein soziales Rückzugsverhalten, vernachlässigen Interessen, verändern Schlafgewohnheiten, zeigen Gereiztheit und verändern ihre Körperpflege. Es kann auch ein erhöhtes Risikoverhalten vorliegen (z. B. stärkerer Substanzkonsum).
    Hier beginnt Suizidprävention: Wenn einer nahestehenden Person diese Veränderungen auffallen, sollte man den Betroffenen ansprechen. Häufig ist eine Entlastung zu bemerken, da der Person nun die Möglichkeit gegeben wird, das Thema anzusprechen.
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    Evolution hat Körper auf "Überleben" programmiert

    Evolutionsbiologisch ist unser Körper auf "Überleben" programmiert. Verschluckt man sich, setzt ein Hustenreiz ein, um ein Ersticken zu verhindern. Ein Mensch, der sich das Leben nehmen möchte, muss diese Reflexe und Instinkte überwinden, was die Stärke der inneren Not, den psychischen Schmerz, die Verzweiflung, Angst verdeutlicht.
    Menschen in suizidalen Krisen zeigen bis zur Handlung eine Ambivalenz: Es gibt einen Teil in ihnen, der noch leben möchte, aber so nicht mehr leben kann.
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    Die suizidale Entwicklung

    Die Forschung zeigt, dass im statistischen Mittel die Zeit vom Entschluss "Jetzt nehme ich mir das Leben" bis zur Handlung sehr kurz ist (zehn Minuten). Das schließt aber eine davor bestehende, zum Teil wochen- bis monatelang andauernde suizidale Entwicklung nicht aus.
    In dieser kurzen Zeit der suizidalen Zuspitzung besteht für den Betroffenen kaum eine andere Handlungsmöglichkeit. Dies beantwortet auch die häufig aufgebrachte Frage, warum eine Person nicht an die Folgen des Suizides gedacht hat (beispielsweise an die Kinder, die zurückgelassen werden oder Personen, die zufällig damit konfrontiert werden). Menschen in diesem "Tunnel" handeln nicht vorsätzlich oder wollen schaden - sie sind in so großer Not, dass all das nicht mehr bedacht werden kann.
    Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, stellt mit Ute Lewitzka, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, die Nationale Suizidpräventionsstrategie der Bundesregierung vor.
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    In Zuspitzung besteht stärkste Möglichkeit zu helfen

    Immer dann, wenn die Person bei der Umsetzung ihres Handlungsimpulses aufgehalten wird, zum Beispiel durch Ansprache einer anderen Person, durch einen Zaun, eine Absperrung, bekommt sie die Chance, diesen gedanklichen "Tunnel" wieder zu weiten, überhaupt erst wieder eine Reflexion der Handlung zuzulassen. Die meisten Menschen, die in dieser Phase aufgehalten werden, nehmen sich nicht das Leben.
    Gespräche mit Überlebenden schwerer Suizidversuche haben gezeigt, dass die dann einsetzende Hilfe die Sichtweise ändern und wieder ein Hinwenden zum Leben ermöglichen kann. Betroffene schildern später manchmal sogar Dankbarkeit, dass sie noch am Leben sind.
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    Eine Frau will sich von einer Brücke stürzen, als der Sänger Bon Jovi dort ein Musikvideo dreht. Er kann sie aber von ihrem Vorhaben abbringen. 12.09.2024 | 0:49 min

    ... ist Professorin für Suizidologie und Suizidprävention an der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Sie erforscht Ursachen suizidalen Verhaltens und Möglichkeiten der Prävention. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention e.V. Mit dem von ihr gegründeten Werner-Felber-Institut e.V. versucht sie, valide Daten für die Suizidforschung zu erfassen. Gemeinsam mit Kollegen möchte sie Prävention bereits im Jugendalter ermöglichen und unterstützt beispielsweise Programme wie HEYLiFE und tomoni.

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