Fangquoten für Ostsee: Fische "erst einmal überleben lassen"
Interview
Kritik an Fangquoten für Ostsee:Fische "erst einmal überleben lassen"
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Die Fischbestände in der Ostsee sinken stetig. Nun hat die EU neue Fangquoten beschlossen. Warum Hering und Dorsch damit weiter gefährdet sind, erklärt Meeresbiologe Rainer Froese.
Nicht nur Überfischung schwächt die Fischbestände in der Ostsee, auch der Klimawandel macht den Fischen das Leben schwer. Was muss sich ändern? Das ganze Interview mit Experte Rainer Froese.04.10.2023 | 4:28 min
Seit Jahrzehnten nehmen vor allem die Bestände von Dorsch und Hering in der Ostsee stetig ab. Zwar wurden immer wieder neue Fangquoten angesetzt, doch die Bestände blieben dauerhaft rückläufig. Die Fischer hätten sich zwar meist an die Fangquoten gehalten, doch die Quoten, so der Vorwurf, waren zu hoch angesetzt.
Jetzt einigten sich die Umweltministerinnen und Umweltminister der EU in Luxemburg auf neue Fangquoten. Für Deutschland bleibt dabei ein Fangverbot für Hering und Dorsch bestehen. Beide dürfen lediglich als Beifang an Land gezogen werden. Scholle und Sprotte dürfen weiterhin gefischt werden, jedoch wurden auch hier die Quoten um zehn Prozent gesenkt.
Laichverhalten der Fische verändert
Es bleibt jedoch die Frage offen, ob die neuen Fangquoten den Bestand von Hering und Dorsch retten können. Denn das Laichverhalten der Fische hat sich stark verändert.
Der Klimawandel führt zu einer schnelleren Erwärmung des Meerwassers und die Heringe schlüpfen früher. Doch viele Larven sterben. Die Vermutung: Sie finden noch keine Nahrung. Warum das Plankton trotz wärmerer Temperaturen nicht auch früher heranwächst, ist noch unklar.
Wie sieht die Überlebenschance der Speisefische in der Ostsee aus? Rainer Froese, Meeresbiologe und leitender Wissenschaftler am Geomar in Kiel, findet klare Worte.
ZDFheute: Wie geht es dem Fisch in der Ostsee?
Rainer Froese: Dem Fisch in der Ostsee geht es meistens schlecht.
Wenigen geht es einigermaßen gut. Der Scholle, einem Speisefisch, geht es gut, sie wächst. Sie kann noch mit dem Klimawandel umgehen. Dorsch, Hering, Sprotte geht es schlecht. Die können nicht gut mit dem Klimawandel umgehen, weil die Bestände einfach zu klein sind.
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ZDFheute: Was jetzt übrig bleibt, ist der sogenannte Beifang. Da darf also Hering und Dorsch noch gefangen werden. Wieviel ist das denn? Ist das relevant?
Froese: Das ist leider sehr relevant.
Die entscheidende Frage ist: Wird mehr rausgenommen als nachwächst oder nicht? Wenn man mehr rausnimmt, dann schrumpft der Bestand. Und bei den jetzt beschlossenen Zahlen wird das leider der Fall sein. Die wenigen, die noch da sind, werden sich nicht erholen können, sondern werden weiter gefischt und damit weiter weniger werden.
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von Michaela Waldow
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ZDFheute: Wie lautet die Empfehlung aus der Wissenschaft? Gar keinen Dorsch, gar keinen Hering mehr fangen?
Froese: Ja, das war eine Empfehlung aus der Wissenschaft. Kein Hering in der westlichen Ostsee und nur ganz, ganz wenig vom Dorsch in der westlichen Ostsee. Damit sie eine Chance haben, sich zu erholen. Noch sind welche da. Das sind fruchtbare Fische. Wenn sie sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort fortpflanzen, gibt es eine Chance, dass sie zurückkommen. Aber dazu muss man sie auch erst einmal überleben lassen. Das tun wir leider nicht.
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ZDFheute: Durch den Klimawandel ändern sich auch die Zeiten, wann die Fische laichen. Ist das denn etwas, was durch einen ein wirklich striktes Fangverbot in irgendeiner Form ausgeglichen werden kann?
Froese: Ja, ein gesunder Bestand, der hat Fische, die früh laichen im Jahr und die spät laichen - manche schon im Dezember vom Vorjahr -, der hat auch ein breites Laichgebiet. Die Scholle und die Kliesche machen das so. Beide Arten sind immer noch recht erfolgreich, weil das an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit erfolgreich ist mit dem Nachwuchs.
Die Bestände von Dorsch und Hering sind so klein, dass sie nur einen winzigen Teil ihres Gebiets und ihrer Laichzeit mit Eiern versorgen können. Die Chance, dass Zeit und Ort gerade richtig waren, ist sehr gering.
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ZDFheute: Wie könnte eine nachhaltige Fischerei in der Ostsee in der Zukunft aussehen? Gibt es das überhaupt?
Froese: Historisch ja. Wir haben hier noch in den 70er-Jahren, auch in den 90er-Jahren noch große Bestände gehabt, die relativ langsam geschrumpft sind. Man hätte jederzeit aufhören können, als die Warnlichter angingen. Wir haben das als Wissenschaftler angeraten und man hätte mit einer Beschränkung der Fänge für ein, zwei Jahre die Bestände wieder auf den guten hohen Stand bringen können. Das ist alles nicht passiert. Jahr für Jahr für Jahr wurde mehr rausgenommen als nachwächst.
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ZDFheute: Wie groß ist der Anteil des Klimawandels an diesem massiven Fischsterben in der Ostsee?
Froese: Der Klimawandel kommt obendrauf. Bei allen Speisefischen sehen wir, dass sie magerer werden. Und das hat etwas damit zu tun, dass der Sauerstoffgehalt der Ostsee abnimmt, weil wir zu viel Gülle einleiten - stark vereinfacht gesagt.
Die Ostsee hatte schon immer Schwierigkeiten mit Sauerstoff im Tiefenwasser. Aber im Augenblick haben wir auch unter zwölf Meter schon nur noch die Hälfte des Sauerstoffs, wie an der Oberfläche. Das liegt daran, dass zu viele Nährstoffe über die Landwirtschaft eingetragen werden.
Das Interview führte NANO-Moderator Gregor Steinbrenner.
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