ifo-Ökonom: Sanktionen sind "zweischneidiges Schwert"

    Interview

    ifo-Forschungsgruppe:Ökonom: Sanktionen "zweischneidiges Schwert"

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    Viele Staaten der Welt werden mit Sanktionen belegt. Doch darunter leidet vor allem die ärmere Bevölkerung in den Zielländern, sagt Florian Neumeier vom ifo-Institut.

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    Die Forschung kommt zu dem Schluss: Unter Wirtschaftssanktionen leiden vor allem Frauen, Kinder und Arme.
    Quelle: dpa

    Wirtschaftssanktionen erzeugen hohe Kosten - vor allem für die ärmere Bevölkerung in den Zielländern. Das ist ein Ergebnis der ifo-Forschungsgruppe Steuer und Finanzpolitik, die hierzu 160 Länder betrachtet und die Daten ausgewertet hat. 67 Länder waren im Zeitraum von 1976 bis 2012 von Wirtschaftssanktionen betroffen.
    Warum Länder auch von den Vereinten Nationen sanktioniert werden, erklärt Florian Neumeier vom ifo-Institut im Gespräch mit ZDFheute.
    ZDFheute: Welche Schäden verursachen Wirtschaftssanktionen in den Zielländern?
    Florian Neumeier: Was wir beobachten, ist, dass bei Sanktionen vor allem Produktionsvolumen, Bruttoinlandsprodukt und Einkommen eines Landes runtergehen. Das kommt dadurch zustande, dass Sanktionen zur Folge haben, dass weniger in dem Land produziert wird. Die Einheimischen investieren weniger und ausländische Unternehmen fahren auch ihre Investitionen zurück.
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    ZDFheute: Welche Folgen haben Wirtschaftssanktionen?
    Neumeier: Den betroffenen Ländern wird beispielsweise auch weniger Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt. Der Konsum leidet, die Arbeitslosigkeit nimmt zu und all das führt dazu, dass das Einkommen abnimmt.

    Florian Neumeier
    Quelle: Romy Vinogradova

    ... ist Leiter der Forschungsgruppe Steuern und Finanzpolitik am ifo-Institut. Die Arbeitsschwerpunkte des promovierten Volkswirtschaftlers sind Finanzwissenschaft, politische Ökonomie und Makroökonomie.

    ZDFheute: Gibt es langfristige Folgen?
    Neumeier: Im Zeitraum von acht bis zehn Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt um 25 Prozent niedriger, als es ohne Sanktionen wäre.
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    ZDFheute: Wie unterscheiden sich Sanktionen der UN und der USA?
    Neumeier: Die USA ist tatsächlich das Land, das am meisten Sanktionen verhängt hat. Besonders die Länder in Südamerika, Ostasien und Afrika sind davon betroffen.
    UN-Sanktionen sind deshalb besonders interessant zu betrachten, weil sie von der Staatengemeinschaft insgesamt verhängt werden. Wenn der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängt, dann muss jedes Mitglied der UN die Sanktionen mittragen.

    Sie sind deshalb sehr umfassend, geben den betroffenen Ländern kaum Spielraum auszuweichen und sind kaum zu kompensieren.

    Florian Neumeier, ifo-Institut

    Nicht nur die Vereinten Nationen oder die USA, auch die EU oder einzelne Länder wie Japan verhängen Sanktionen:
    ZDFheute: Warum sind UN-Sanktionen wirksamer?
    Neumeier: Wie zu erwarten sind Sanktionen, die ausschließlich von den USA verhängt werden, nicht ganz so schädlich und verursachen nicht ganz so hohe wirtschaftliche Kosten wie Sanktionen, die von der UN verhängt werden.

    Sanktionen wirken umso stärker, je größer die Abhängigkeit des sanktionierten Landes von dem Land ist, das die Sanktionen verhängt.

    Florian Neumeier, ifo-Institut

    Und natürlich ist der verursachte Schaden im sanktionierten Land umso höher, je stärker es in den Welthandel eingebunden ist.
    ZDFheute: Wer ist von Sanktionen am meisten betroffen?
    Neumeier: Grundsätzlich treffen Krieg, wirtschaftliche Rezession oder Sanktionen die vulnerablen Gruppen der Gesellschaft. Wenn ein Land von Sanktionen betroffen ist, geht die Produktion zurück, die Ressourcen werden knapp und das Leben der Mitglieder der Gesellschaft muss irgendwie neu aufgeteilt werden.

    Personen mit geringem sozialen Status leiden darunter am stärksten und sind auch am stärksten davon betroffen. Gerade Arme, Frauen und Kinder fallen hierunter.

    Florian Neumeier, ifo-Institut

    Sommerfeeling und Sanktionen - Verdrängter Kriegsalltag in Moskau:
    ZDFheute: Treffen Sanktionen somit nicht die Falschen?
    Neumeier: Sanktionen führen zu Kollateralschäden, die letztendlich in Kauf genommen werden. Auf der einen Seite sind Kollateralschäden natürlich bitter, weile jene Gruppen der Gesellschaft betroffen sind, die in der Regel sowieso schon unter dem Regime leiden. Auf der anderen Seite sind ebendiese Kollateralschäden auch die Bedingung dafür, dass Sanktionen greifen.

    Nur wenn dem Regime Ressourcen entzogen werden, wenn der Druck groß genug wird, kann politischer Wandel herbeigeführt werden.

    Florian Neumeier, ifo-Institut

    ZDFheute: Was ist Ihr Fazit zu Sanktionen?
    Neumeier: Sanktionen sind ein zweischneidiges Schwert. Beim Verhängen der Sanktionen muss man immer die Kollateralschäden im Blick behalten und maßhalten.

    Auf der anderen Seite entfalten sie wirtschaftlichen Druck und dieser ist notwendig, um das Regime zum Einlenken zu bewegen. Aber sie können eben auch verheerende Folgen für die Bevölkerung haben.

    Florian Neumeier, ifo-Institut

    Wenn wirtschaftliche Sanktionen zurückgefahren werden, nimmt Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit noch mal einen deutliche größeren Stellenwert und eine deutlich größere Bedeutung an, um die Folgen, insbesondere für die Vulnerablen, abzufedern.
    Das Interview führte Florence-Anne Kälble.

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