Flüssiggas: Wie Europa den LNG-Boom in den USA befeuert

    Erdgas-Nachfrage:Wie Europa den LNG-Boom in den USA befeuert

    von Benjamin Daniel und Annette Brieger
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    Der Krieg in der Ukraine bedeutet auch für den Energiesektor eine Zeitenwende. Europas Erdgas-Nachfrage sorgt in den USA für Goldgräberstimmung - aber auch lauter werdende Kritik.

    Der US-amerikanische Konzern Cheniere ist ein Gewinner der europäischen Energiekrise: Das Unternehmen in Texas wächst dank der gestiegenen LNG-Nachfrage.
    Der US-amerikanische Konzern Cheniere ist ein Gewinner der europäischen Energiekrise: Das Unternehmen in Texas wächst dank der gestiegenen LNG-Nachfrage.
    Quelle: ZDF

    Wo kommt der Rohstoff her, der unsere Wohnzimmer warmhält? Wie empfinden die Menschen an der US-Golfküste den Boom? Was tut die Industrie, um die Förderung und Verflüssigung umweltschonender zu gestalten? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, sollte vor allem in den US-Bundesstaaten Texas und Louisiana suchen.
    Die 300.000-Einwohner-Stadt Corpus Christi, Texas, ist einer der Hotspots der amerikanischen Energieindustrie. Der Konzern Cheniere betreibt hier das älteste und größte LNG-Terminal der USA. Dort wird Erdgas in flüssige, komprimierte Form, gebracht, um möglichst viel auf die Transportschiffe zu bekommen.

    Gasindustrie in den USA boomt

    Die Anlage ist gerade mal fünf Jahre alt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine stößt sie an ihre Kapazitätsgrenze. Unter anderem die Nachfrage aus Deutschland ist im letzten Jahr explodiert. Auch deshalb hat Cheniere beschlossen, den ohnehin schon riesigen Standort weiter auszubauen.
    Gesteuert wird das Mammutprojekt von Houston aus - dem Management-Mekka der amerikanischen Öl- und Gasindustrie. Hier haben zahlreiche Energiegiganten ihren Hauptsitz. So auch Cheniere.

    Methan-Lecks: Umweltbedenken kamen zu spät

    Im Gespräch bestätigt Vertriebsleiter Anatol Feygin, dass die Branche, die er vertritt, vom Krieg gegen die Ukraine und der dadurch entstehenden Unsicherheit profitiert. 70 Prozent des verflüssigten Erdgases lieferte Cheniere im letzten Jahr an Europa. Die neu geschlossenen Verträge haben eine deutlich höhere Laufzeit als früher - im Schnitt sind es 17 Jahre. Feygin sagt auch:

    Vor dem Hintergrund des extrem engen Marktes, der durch die Pipeline- und Liefer-Konflikte in Europa zusätzlich unter Druck geriet, wurde es attraktiver, Verpflichtungen mit langer Laufzeit einzugehen. Für uns bedeutet das: Wir können weiter wachsen.

    Anatol Feygin, Vertriebsleiter im Energiekonzern Cheniere

    Erstaunlicherweise räumt Feygin außerdem ein: Die Branche habe den hohen Methan-Ausstoß beim Abbau und Transport des Gases zu lange billigend in Kauf genommen.
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    Umdenken beim Umweltschutz

    Das Unternehmen beginne gerade, das nötige Equipment und die Technologie zu fördern, um Methan-Lecks in Echtzeit zu messen. Mit den Informationen will der Konzern den Emissionsausstoß "an verschiedenen Stellen im Prozess" verringern, so Feygin.

    Wir stehen da aber noch in den Kinderschuhen und das wird an unserer Branche auch zurecht kritisiert.

    Anatol Feygin, Vertriebsleiter im Energiekonzern Cheniere

    An der Küstengrenze zwischen Louisiana und Texas - dem Ort, an dem seine Firma massiv expandiert - gibt es eine Biodiversität, die man kein zweites Mal in Amerika findet: Unendliche Marschlandschaften, seltene Vogelarten, Gesichter der Golfküste. So war es früher vielerorts - bis die Energiegiganten kamen.

    Anwohner kämpt gegen LNG-Terminals

    Einer, der deshalb gegen sie kämpft, ist John Allaire. Vor 25 Jahren hat er sein Grundstück in Cameron Parish, Louisiana, gekauft, lange bevor LNG überhaupt ein Thema war. Der 64-Jährige hat hier seine drei Kinder großgezogen.
    Nun kommen regelmäßig auch die Enkel von Allaire zu Besuch. Ein Ort, der für Allaire Idylle pur verkörperte - bis wenige Kilometer entfernt eine LNG-Anlage gebaut wurde. Bald soll sogar noch eine zweite entstehen, direkt nebenan. Seine Klagen vor Gericht sind wohl aussichtslos.

    Gas und Öl als Antwort auf die Energiekrise?

    Dass die Industrie Geld in die öffentlichen Kassen spüle, sei Augenwischerei, meint Allaire. Viele Unternehmen bekämen für die ersten zehn Jahre eine Steuerbefreiung. Seit 2017 seien dem Staat Louisiana dadurch knapp 750 Millionen Dollar durch die Lappen gegangen.
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    Die aktuelle Energienot in Europa verstehe er. Gas und Öl könnten aber nicht die Antwort darauf sein. Zumal die Ressourcen endlich seien, so Allaire, und man sie für jene Bereiche aufsparen sollte, in denen es keine Alternativen gebe:

    Wir sollten fossile Brennstoffe nur noch dort einsetzen, wo es nicht anders geht. Ein Flugzeug kann nicht mit Windenergie fliegen. Für diese Dinge gibt es bisher keine Alternative als fossile Brennstoffe.

    John Allaire, Anwohner eines LNG-Terminals

    Andere Bereiche müssten unbedint umsteuern, um die begrenzten fossilen Ressourcen, die Kohlenwasserstoffe, aufzusparen. Für die Produkte, für die sie auch künftig dringend gebraucht würden, sagt Allaire.

    Energiehunger stillen und Umwelt schützen

    Den Krieg in der Ukraine bekommen auch die Menschen und die Natur an der Golfküste zu spüren. Auf der einen Seite: Milliardeninvestitionen, Arbeitsplätze, Rekordumsätze. Auf der anderen: Verpestete Luft, zerstörte Natur, ausgestorbene Städte. Kurzfristig scheint es kaum Alternativen zu geben. Auf die lange Sicht aber kann LNG aus den USA nicht die Antwort auf Europas Energiebedarf sein.
    Und so ist jetzt vor allem die Politik gefordert: Sie muss Rahmenbedingungen schaffen, um den akuten Energiehunger zu stillen und dabei die Umweltbelastung so gering wie möglich halten. Und über allem schwebt das Ziel, mittel- und langfristig immer unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu werden.

    Gasspeicher und Gasverbrauch
    :Wie es um unsere Gasversorgung steht

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    von H. Koberstein, R. Meyer, N. Niedermeier, M. Zajonz
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    Quelle: ZDF, mit Material von dpa, AP, AFP, Reuters

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