Arbeitspflicht für Geflüchtete "in keinster Weise hilfreich"
Interview
Geflüchtete als Fachkräfte:Arbeitspflicht "in keinster Weise hilfreich"
|
Asylbewerber könnten ein Gamechanger beim Fachkräftemangel sein. Doch dafür muss ihre Verteilung und Qualifizierung neu gedacht werden, so eine Studie des DIW.
Prof. Dr. Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Gespräch10.08.2023 | 7:41 min
Die CDU in Baden-Württemberg fordert eine Arbeitspflicht für Geflüchtete. Prof. Dr. Alexander Kritikos hat für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Einstiegsmöglichkeiten für Geflüchtete in den deutschen Arbeitsmarkt in einer Studie untersucht.
ZDFheute: Was halten Sie von einer Arbeitspflicht oder einem sozialen Pflichtjahr für Geflüchtete?
Alexander Kritikos: Von der Arbeitspflicht halte ich überhaupt nichts. Ich weiß nicht, wie man auf solche Ideen kommt. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen möchte arbeiten. Und das gilt auch für Geflüchtete, die nach Deutschland kommen. Viel wichtiger ist es, diese bürokratischen Hemmnisse zu reduzieren und dabei Unterstützung zu leisten.
Gerade wenn es um Fragen der Qualifikation geht, aber auch, wenn es darum geht, die Vermittlung in Städte und Regionen mit hohem Fachkräftebedarf möglich zu machen. Da ist eine Arbeitsverpflichtung in keinster Weise hilfreich. Man muss einfach den Arbeitsmarkt sprechen lassen und es zeigt sich immer wieder, dass das sehr gut funktioniert, wenn bürokratische Hemmnisse abgebaut werden.
... ist Forschungsdirektor und Mitglied im Vorstand des DIW Berlin sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Potsdam.
Das DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) erforscht seit 1925 wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Zusammenhänge in gesellschaftlich relevanten Themenfeldern und berät auf dieser Grundlage Politik und Gesellschaft. Das DIW Berlin ist unabhängig und wird als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert.
ZDFheute: Welche gibt es?
Kritikos: Wir haben einfach zu wenig Sprachkurse im Angebot. Wenn die Menschen einen Job anfangen, brauchen sie zu den Grundkenntnissen in Deutsch auch oft Fachsprache. Das zweite ist, dass die Vermittlung natürlich nicht so einfach wie sonst ist. Man muss also gezielt vermittelnde Instrumente verwenden. Da gibt es den sogenannten Arbeitgeber-Service, der sich sehr gut eingespielt hat.
Aber es gibt noch zu viele Hemmnisse. Zum Beispiel bei der Anerkennung der Qualifikationen aus dem Herkunftsland. Es wäre auch sinnvoll, wenn Geflüchtete in den Jobs, die sie gelernt haben, hier arbeiten können. Das größte Problem ist aber der sogenannte Königsteiner Schlüssel, nach dem die Geflüchteten in Deutschland verteilt werden.
ZDFheute: Was ist der Königsteiner Schlüssel und was ist das Problem dabei?
Kritikos: Die Geflüchteten werden mehr oder weniger im Verhältnis zur Bevölkerung einzelnen Landkreisen, Regionen und Städten zugeteilt. Dabei wird völlig ignoriert, wie die Wirtschaftskraft in der jeweiligen Region ist und wie die lokalen Arbeitsmärkte aussehen.
Das heißt, egal ob der Arbeitsmarkt schlecht oder gut ist, es kommen Geflüchtete in die jeweiligen Städte. Die Vermittlung der Menschen in Kreise mit einem schlechteren Arbeitsmarkt wird noch mit einer Verpflichtung, dort zu bleiben, zusätzlich erschwert.
Der Königssteiner Schlüssel legt in Deutschland fest, wie viele Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss.
Berechnet wird dies jedes Jahr neu auf der Basis der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl.
Die Bezeichnung geht zurück auf das Königsteiner Staatsabkommen der Länder von 1949, mit dem dieser Schlüssel zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen eingeführt wurde.
Heute geht der Anwendungsbereich des Königsteiner Schlüssels weit über den Forschungsbereich hinaus. Zahlreiche Abkommen bzw. Vereinbarungen greifen inzwischen auf diesen Schlüssel zurück.
Er setzt sich zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl der Länder zusammen.
ZDFheute: Wie lange sind diese Menschen an den zugeteilten Ort gebunden?
Kritikos: Bis zu drei Jahre. Sie können den Wohnort verlassen, wenn sie ein Angebot aus einer anderen Region bekommen. Aber das ist wiederum mit einem großen bürokratischen Prozess verbunden. Die Lösung ist es, die regionale Verteilung der Geflüchteten stärker am Fachkräftebedarf auszurichten. Es muss sichergestellt werden, dass die Vermittlung zwischen Geflüchteten und Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, gut funktioniert.
Und, was die Unternehmen in den vergangenen Jahren schon gezeigt haben, es ist wichtig, flexibel im Ausprobieren von Arbeit zu sein. Es gibt die sogenannte Probearbeit, bei der Geflüchtete ausprobieren, ob sie dem Unternehmen die Leistungen erbringen können, die von Ihnen erwartet werden.
Über eine Million ukrainische Flüchtlinge sind bereits in Deutschland registriert. Viele suchen Arbeit und werden hierzulande auch dringend gebraucht.23.02.2023 | 1:50 min
ZDFheute: Könnten Asylbewerber quasi ein Gamechanger beim Fachkräftemangel sein?
Kritikos: Geflüchtete sind definitiv eine Chance! Wir haben in Deutschland damit schon in den Folgejahren nach 2015 sehr viel Erfahrung gemacht. Damals kamen Geflüchtete aus Syrien, aus Afghanistan und aus Irak in sehr großer Zahl nach Deutschland und man war sehr pessimistisch, was deren Eingliederungschancen in den Arbeitsmarkt anging.
Inzwischen haben mehrere Studien gezeigt, dass rund 50 Prozent dieser Gruppe inzwischen in den Arbeitsmarkt integriert sind, Jobs gefunden haben und zu den sozialen Sicherungssystemen beitragen. Nur der Weg dahin ist sehr beschwerlich, das muss man sich auch klar machen. Es gibt viele bürokratische Hindernisse. Die müssen endlich mal abgebaut werden.
Die Politik solle sich stärker bemühen, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, fordert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Auch die Gewerkschaften sehen Nachholbedarf.