Fachkräftemangel: Warnungen vor Ausländerfeindlichkeit
Fachkräftemangel in Deutschland:Wirtschaft warnt vor Ausländerfeindlichkeit
von Eva Schiller
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Einwanderer berichten von wachsender Ausländerfeindlichkeit. Das gefährde den Wirtschaftsstandort, sagen Experten. Denn ohne Zuwanderer sei die Fachkräftelücke nicht zu schließen.
Sarah Braa hat sich nie als Ausländerin begriffen - seit einiger Zeit ist das anders. Sie leitet die Produktion beim Bergsportausstatter Vaude, ist Marokkanerin, geboren in Deutschland. In ihrem Team arbeiten Menschen aus 30 Nationen. Egal ob Flüchtling oder eingewanderte Fachkraft - viele spüren wachsende Ausländerfeindlichkeit.
"Momentan werden alle in einen Topf geworfen, das macht mich wütend", sagt Sarah Braa. "Ich habe mich immer gut gefühlt in Deutschland, aber ich muss sagen, dass sich das Gefühl verändert hat, wegen der feindseligen Stimmung. Auch bei den Kollegen, die noch nicht so lange in Deutschland sind. Natürlich fühlt man sich dann nicht willkommen."
Vaude-Chefin: Müssen für Offenheit eintreten
Vaude-Chefin Antje von Dewitz ist eine liberale Vordenkerin unter den Mittelständlern. Sie fordert: Unternehmen müssen jetzt für Offenheit eintreten.
"Wir hören so oft vor der Angst der Deindustrialisierung in Deutschland aufgrund von steigenden Energiepreisen", sagt Dewitz. Wesentlich wahrscheinlicher ist aber, dass wir deindustrialisieren, weil wir keine Fachkräfte mehr haben.
Unternehmer: AfD ist Gefahr für Wirtschaftsstandort
Wie sie warnen mehr und mehr Unternehmen im Südwesten vor fremdenfeindlicher Stimmung und auch vor einem Erstarken der AfD. Bei Stiehl, Weltmarktführer für Motorsägen, merken sie, dass populistische Parolen auch in der Belegschaft verfangen, und möchten ein Zeichen setzen. Beiratschef Nikolaus Stiehl findet deutliche Worte.
Die AfD sei eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland. "Es würde aber helfen, wenn die demokratischen Parteien anfangen würden, die echten Probleme in Deutschland tatsächlich anzugehen und endlich Resultate zu produzieren."
Deutschland braucht dringend Fachkräfte
Rund 630.000 Fachkräfte fehlen jetzt schon in Deutschland - Tendenz steigend. Besonders betroffen sind Gesundheits- und Sozialberufe, das Handwerk und die IT-Branche. Um die Lücke zu füllen, bräuchte Deutschland pro Jahr über 400.000 Zuwanderer.
Betriebe aus Sachsen versuchen die Lücken in den Belegschaften mit Kräften aus dem Ausland auszugleichen. Fremdenfeindliche Parteien sorgen allerdings für ein schlechtes Image des Bundeslandes. Das schreckt ausländische Fachkräfte ab.21.04.2023 | 2:00 min
"Ohne qualifizierte Zuwanderung werden wir unser Wohlstandsniveau nicht halten können. Hier geht es nicht um Gewinne von Unternehmen, sondern auch um Menschen, die nicht gepflegt werden könnten, sagt Sibylle Stippler vom Institut der deutschen Wirtschaft.
Diese Botschaft versucht Kanzler Olaf Scholz heute beim Afrika-Gipfel in Berlin zu senden. Neben stärkerer Zusammenarbeit geht es ihm auch darum, mehr afrikanische Fachkräfte gezielt nach Deutschland zu holen - und von einer Flucht übers Mittelmeer abzuhalten.
Unattraktives Ziel für Zuwanderer
Die Frage ist nur, wie attraktiv Deutschland für Fachkräfte ist. Laut einer kürzlich durchgeführten Untersuchung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim-Institut) fühlt sich jeder zweite Schwarze in Deutschland Diskriminierung ausgesetzt. Auch fast 50 Prozent der muslimischen Menschen berichten von Rassismuserfahrungen.
"Das ist ein Alarmsignal", sagt Dezim-Institutsdirektor Frank Kalter.
"Und ich glaube, je fahrlässiger man mit der gesamtgesellschaftlichen Stimmung umgeht, desto mehr Schaden ist auch bei der eigentlich gewollten Migration zu erwarten."
Bürokratie-Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland
Dazu kommt die ausufernde Bürokratie. Zwar greift seit diesem Wochenende die erste Stufe des neuen "Fachkräfteeinwanderungsgesetzes", das Hürden für die Einwanderung absenkt. "Es hakt aber daran, dass in vielen Behörden noch veraltete Strukturen oder auch Personalmangel vorherrschen, so dass Anträge nicht schnell genug bearbeitet werden können. Das hängt sowohl an den Visa-Vergabestellen als auch in den Ausländerbehörden" sagt Sibylle Stippler vom IW.
Willkommenskultur, um wettbewerbsfähig zu bleiben
Bei der Firma Richter tief in der schwäbischen Provinz können sie ein Lied davon singen. Neben ukrainischen ITlern arbeitet der indische Ingenieur und der kolumbianische Architekt. Deutsche Mitarbeiter sind die Ausnahme, Firmensprache ist Englisch. Der indische Ingenieur Kunjan Patel und viele andere hier mussten erst begreifen, dass deutsche Behörden nur Papier akzeptieren, lange Wartezeiten zum Standard gehören.
"Nach viereinhalb Monaten habe ich einen Brief von den Behörden bekommen, dass sie meine Papiere verloren haben. Deswegen sollte ich meine Unterlagen neu einreichen. Sie haben mir einen Termin gegeben: fürs nächste Jahr" erzählt Patel müde grinsend. Und fügt noch hinzu:
In einer eigens gezimmerten Almhütte versuchen die Richters auszugleichen, was Behörden versäumen. Mit Piano, Pizza-Backaktionen und Deutschkursen. Sie fordern eine Willkommenskultur, um wettbewerbsfähig zu bleiben.