Marathonläufer Hendel:Geschäft mit "Chancen und schwarzen Schafen"
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Sebastian Hendel will am Sonntag seine Bestzeit auf unter 2:10 Stunden drücken. Im Interview spricht er über Tempomacher, den Marathon als Show und die Liebe zu seinem Sport.
Sebastian Hendel - hier bei der Deutschen Meisterschaft im 10-Kilometer-Straßenlauf - wird am kommenden Sonntag beim Hamburg-Marathon ohne persönlichen Tempomacher laufen.
Quelle: Imago / Beautiful Sports
Zuletzt gab es beim Halbmarathon in Peking einen kuriosen Zieleinlauf: Der chinesische Lokalheld He Jie gewann das Rennen - aber nur, weil drei afrikanische Läufer auf den letzten Metern regelrecht auf ihn warteten und ihn vorbeiließen. Tempomacher gehören zum Geschäft im Marathonsport, üblicherweise findet ihr Wirken jedoch weniger auffällig statt.
ZDFheute: Herr Hendel, Sie haben sich viel vorgenommen für Ihr Rennen beim Hamburg-Marathon am Sonntag. Werden Sie die Hilfe eines Tempomachers in Anspruch nehmen?
Sebastian Hendel: Es wird von den Organisatoren engagierte Tempomacher geben. Man könnte auch einen persönlichen Helfer mitbringen. Aber für das, was ich laufe - ich will ja meine Bestzeit auf unter 2:10 Stunden drücken - ist es schwierig, gute Tempomacher zu finden.
ZDFheute: Wer so schnell laufen kann wie Sie, ist wahrscheinlich lieber auf eigene Faust unterwegs.
Hendel: Genau. Tempomacher müssten sich gezielt auf so eine Leistung vorbereiten. Und sie müssen einen guten Tag haben. Sonst kann es passieren, dass sie schon bei 15 Kilometern aussteigen. Afrikanische Tempomacher sind schnell, das ist immer eine Option. Aber ich habe da zwiegespaltene Erfahrungen. Ich habe erlebt, dass Läufer, die zum ersten Mal aus Kenia herausgekommen sind, in einer europäischen Großstadt auf abgesperrten Straßen überhaupt nicht wissen, wie sie sich orientieren sollen. Da wird dann in den Kurven extrem weit außen gelaufen, so dass man auf jedem Kilometer ein paar Meter mehr macht. Oder sie halten das Tempo nicht gleichmäßig. Oder sie haben das ungewohnte Essen nicht vertragen, dann sind sie im Rennen plötzlich schon früh weg.
ZDFheute: Trotzdem ist es ein gängiges Prozedere, afrikanische Tempomacher zu engagieren.
Hendel: Es ist wie in anderen Bereichen auch: Wenn ich einen europäischen Tempomacher will, muss ich tiefer in die Tasche greifen als für einen afrikanischen Tempomacher. Das mag nach Ausbeutung klingen, aber es ist einfach so. Wir alle wissen, wo die meisten unserer Klamotten produziert werden. Trotzdem kauft kaum jemand den Pulli für 200 Euro, der in Deutschland hergestellt wurde. Wir Profiläufer sind keine Millionäre, wir kommen über die Runden. Wir müssen sehen, dass Chance und Risiko im Verhältnis bleiben.
ZDFheute: Warum sind afrikanische Läufer so viel günstiger?
Hendel: Die meisten Afrikaner machen das nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil das für sie ein Weg aus der Armut ist.
ZDFheute: Damit sind sie aber auch anfällig dafür, ausgebeutet zu werden. Was bekommen Sie davon in der Szene mit?
Hendel: Ich kenne Managements, die sich wirklich gut um die Athleten kümmern. Es gibt aber auch immer wieder Beispiele, die eher an Sklaverei erinnern. Andersherum gibt es auch afrikanische Läufer, die Geschäfts-Partnerschaften anders verstehen als wir - die mal eben das Management wechseln, weil sie meinen, beim nächsten 200 Euro mehr verdienen zu können. Da, wo es Chancen gibt, gibt es immer auch schwarze Schafe.
ZDFheute: Beim Halbmarathon in Peking sind kürzlich drei afrikanische Tempomacher und der chinesische Lokalmatador negativ aufgefallen, weil die Afrikaner den Chinesen kurz vorm Ziel noch offensichtlich vorgelassen haben.
Hendel: Die Straßenläufe weltweit buhlen um Aufmerksamkeit. Die verhandeln monatelang, um große Namen an den Start zu bekommen und wollen dann natürlich, dass diese Läufer gewinnen oder einen Rekord aufstellen. Da geht es auch um eine gute Show. Aber in Peking haben die sich extrem dämlich angestellt. Es so zu machen, das traut sich eigentlich kein Veranstalter. Es ist gut, dass da Disqualifikationen ausgesprochen wurden. Marathon ist ein Geschäft - aber für mich ist es vor allem auch Spaß. Dieses Feeling auf der Straße, das ist einfach geil.
Das Gespräch führte Susanne Rohlfing.
... ist Profi-Läufer und Student (Wirtschaftsingenieurswesen), verheiratet mit Kristina, ebenfalls Profi-Läuferin. Die beiden haben einen gemeinsamen Sohn, die Familie lebt in Reichenbach im Vogtland.
- Im Oktober 2022 gibt Hendel sein Marathon-Debüt, davor startete er auf der Bahn und wurde 2018 Deutscher Meister über 5.000 und 10.000 Meter.
- Beim München-Marathon 2023 steigert Hendel seine Bestzeit auf 2:10,14 Stunden, verpasst damit aber die Olympianorm (2:08,10 Stunden).
- Am Sonntag in Hamburg wird er seinen vierten Marathon bestreiten. Sein Fernziel: Olympia 2026 in Los Angeles.
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