Überversorgung: Zu viele unnötige Behandlungen in Kliniken?
Medizinische Überversorgung:Zu viele unnötige Behandlungen in Kliniken?
von Michael Kniess
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Im Gesundheitssystem krankt es an vielen Ecken - zu wenig Personal, Termine sind Mangelware. Experten sehen als Grund: Es werden zu viele unnötige Behandlungen durchgeführt.
Es wird zu viel operiert in Deutschland. Das liegt auch an Fehlanreizen im Vergütungssystem, sagen Experten. (Symbolfoto)
Quelle: dpa
Das deutsche Gesundheitssystem krankt. Für Professor Thomas Kühlein gibt es dafür insbesondere einen Grund: "Patient*innen hierzulande werden über den eigentlichen Bedarf hinaus versorgt. Wir sprechen dabei von medizinischen Maßnahmen, die oft ohne hinreichenden Nutzen oder nicht angezeigt sind."
Der Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg forscht seit Jahrzehnten zum Thema und kommt zu einem klaren Schluss:
Früherkennung: "Weniger ist mehr"
Der international renommierte Experte plädiert für eine bedarfsgerechtere Versorgung: "Es ist nicht so, dass alles, was medizinisch getan wird, auch den Patient*innen dient." Als einen der Gründe dafür führt Thomas Kühlein einen zu kleinen Stellenwert der evidenzbasierten Medizin in Deutschland an.
"Sie nutzt dafür nicht theoretische Erkenntnisse aus der Laborforschung, sondern fragt nach in klinischen Studien beobachtbaren Größenordnungen von Nutzen und Schaden", erklärt er.
Folgen der Überversorgung
Auch die Zahl der hierzulande durchgeführten Früherkennungsuntersuchungen zeugt aus Sicht von Thomas Kühlein, selbst nach wie vor als Hausarzt tätig, für eine problematische Überversorgung.
Nur ein Beispiel: das Prostatakrebs-Screening mittels PSA-Test bei Männern. "Der Bluttest bringt für die Gesamtzahl der Untersuchten mehr Schaden als Nutzen. Ihm folgen meist weitere Untersuchungen, wie eine Biopsie, und die Zahl derer, die durch ein solches Prostatakrebs-Screening vor dem Tod gerettet werden können, ist verschwindend gering."
Vielfach passiere eher das, was den Praxen Einnahmen beschert, als das, was den Patient*innen wirklich nutzt. Aus Sicht von Thomas Kühlein ist das ein gutes Beispiel für die Vermarktwirtschaftlichung der Medizin als wichtiger Treiber der Überversorgung:
Also lieber noch schnell eine Computertomographie - um die Praxis oder Klinik am Leben zu halten, den eigenen Arbeitsplatz zu sichern, aber auch zur juristischen Absicherung. Man wolle sich nicht vorwerfen lassen, etwas übersehen oder nicht gemacht zu haben.
Fehlanreize im System selbst
Ähnliche Probleme sieht auch Simon Reif. Für den promovierten Gesundheitsökonomen, der die Forschungsgruppe "Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik" am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim leitet, ist es jedoch mehr eine Fehl- und keine Überversorgung, die unser Gesundheitssystem belaste. Während an der einen Stelle zu viel operiert wird, müssen Patient*innen auf der anderen Seite lange auf Arzttermine warten.
Begründet liege diese in den Fehlanreizen des Systems selbst. "Das Modell einer durch Hausärzt*innen koordinierten Versorgung könnte eine große Entlastung bringen."
Verbesserung der Gesundheit muss sich lohnen
Simon Reif nimmt hier jedoch weniger die Patient*innen als vielmehr Politik und Selbstverwaltung in die Pflicht: "Es ist verständlich, dass Patient*innen dorthin gehen, wo sie die schnellste Behandlung erhoffen. Es ist auch völlig in Ordnung, dass man im Gesundheitswesen Geld verdienen möchte", sagt er. "Aber im Gesundheitswesen ist es nun mal so, dass diejenigen, die entscheiden, ob eine medizinische Leistung durchgeführt wird, in den meisten Fällen gleichzeitig diejenigen sind, die diese anbieten und damit Geld verdienen."
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Dass Deutschland weltweit führend ist in puncto Rücken- und Hüftoperationen, ist aus Sicht von Simon Reif vor diesem Hintergrund ein Beispiel für Fehlanreize im Vergütungssystem. "Wenn das bisherige System in Krankenhäusern möglichst viele Eingriffe belohnt, ist es aus wirtschaftlicher Sicht völlig nachvollziehbar, das zu tun", sagt er.
Das System müsse so reformiert werden, dass sich die Verbesserung der Gesundheit lohnt und nicht das Erbringen von Leistungen. Hoffnung macht aus Sicht von Simon Reif in dieser Hinsicht die geplante Krankenhausreform.
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