"Han Kuang"-Militärübung: Taiwan probt für Chinas Angriff

    Militär- und Zivilschutzübung:Taiwan probt für Chinas Angriff

    Porträt ZDF-Korrespondentin Miriam Steimer
    von Miriam Steimer
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    Bei Handyalarm am Straßenrand halten oder gleich zu Hause bleiben: 30 Minuten lang steht das Leben auf Taiwan still. Bürger und Militär proben für einen Angriff Chinas.

    Taiwan
    In Zeiten wachsender Spannungen zwischen Taipeh und Peking beginnt in Taiwan die jährliche Militärübung, mit der die Kampfbereitschaft im Falle einer Invasion erprobt werden soll.24.07.2023 | 2:12 min
    "Mach' keinen Hühnerflügel. Das ist Energieverschwendung." Frida Lu lächelt kurz nervös. Sie befolgt die Anweisung des Trainers: Ihr rechter Ellbogen, der eben noch neben ihrem Körper in der Luft hing, drückt nun fest in ihre Seite. Konzentriert nimmt sie ihr Ziel ins Visier. Zum ersten Mal hat die 33-Jährige ein Gewehr in der Hand.
    Wie so viele Taiwanerinnen und Taiwaner erzählt auch Frida Lu, dass Russlands Angriff auf die Ukraine sie alarmiert habe. "Ich mache mir Sorgen. Ich hätte nie gedacht, dass jetzt, im Jahr 2023, die Welt plötzlich so einen Krieg erleben würde", sagt sie. Ihre Angst: dass China diesem Vorbild folgen und Taiwan angreifen könnte.
    Ein mann bedient eine beleuchtete tastatur eines laptops.
    Die Angst in Taiwan vor einem Krieg wächst - der Cyberkrieg hat jedoch schon längst begonnen. ZDF-Korrespondentin Miriam Steimer berichtet von gekappten Kabeln und Propaganda-Attacken in Supermärkten. 01.06.2023 | 18:00 min

    Taiwan: Zulauf für Militärübungen

    Seit dem Krieg in der Ukraine wollen sich immer mehr Menschen auf Taiwan vorbereiten - in Selbstverteidigungskursen mit Schießtraining, Waffenkunde und Erste-Hilfe-Einheit. In den Workshop des Militärvereins "Camp 66" - westlich von Taiwans Hauptstadt Taipeh - kommen inzwischen ganz andere Menschen:

    Früher waren 90, 95 Prozent hier Militärfreaks. Jetzt sind 80, 85 Prozent ganz normale Leute.

    Alex Su, Trainer

    Die jährliche Militärübung "Han Kuang" auf Taiwan konzentriert sich dieses Jahr auf Maßnahmen gegen eine Blockade der Insel. Auf den Planungsteil Mitte Mai folgt vom 24. bis 28. Juli die Einsatzübung mit scharfer Munition.

    Laut Taiwans Verteidigungsministerium stehe die Überprüfung der Kampfbereitschaft unter dem Eindruck der jüngsten Militärübungen Chinas. Dabei hatte das chinesische Militär nicht nur für eine Blockade der Insel trainiert, sondern auch Präzisionsangriffe geübt.

    Auch Taiwans Militär probt ab heute für den Ernstfall: Bei der Militärübung "Han Kuang" soll die Kampfbereitschaft überprüft werden. Aufgrund der aktuellen Spannungen bekommen die jährlichen Übungen in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit und konzentrieren sich auf Maßnahmen gegen eine Blockade der Insel.

    China erhebt Anspruch auf Gebiet Taiwans

    Denn Chinas Militär lässt rund um Taiwan immer wieder die Muskeln spielen - übt schon mal die "Wiedervereinigung", wie es in der Propaganda heißt. Chinas Staats- und Parteiführung betrachtet die demokratische Insel als abtrünnige Provinz und Teil ihres Staatsgebiets.
    Eine Invasion Taiwans würde für China aktuell keinen Sinn machen, glaubt Sinologin Simona Grano. Das sei zu riskant: "Sollte eine solche Invasion scheitern, dann könnte dies auch das Ende der Kommunistischen Partei sein. Aber wir haben es mit einer Autokratie zu tun, das bedeutet gleichzeitig ein hohes Maß an Unberechenbarkeit."
    China erhebt Anspruch auf Taiwan - die Bewohner sehen die Lage anders:

    "Ferne Bedrohung" für Taiwaner realer

    Deshalb proben die Menschen in Taiwan an diesem Montag einen Luftangriff. Bei der "Wan An"-Übung steht das öffentliche Leben für 30 Minuten still: Wenn Sirenen und Handyalarm schrillen, müssen die Autofahrer am Straßenrand halten, die Leute sollen zu Hause bleiben oder sich sogar in lokalen Schutzräumen in Sicherheit bringen.
    "Damit werden die Auswirkungen auf das tägliche Leben für alle sichtbar", sagt Simona Grano, Sinologin an der Universität Zürich.

    Das, was bis vor einigen Jahren noch eine ferne Bedrohung war, ist jetzt viel realer geworden.

    Simona Grano, Sinologin

    Frida Lu konnte mit der "Wan An"-Übung nie etwas anfangen: Die normalen Leute wüssten bei einem wirklichen Angriff trotzdem nicht, was sie machen sollen. Deshalb ist sie heute zum Workshop gekommen. Sie hofft, dass sie das, was sie hier lernt, nie einsetzen muss.

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