Syrien-Geberkonferenz: Zu viel Elend und immer weniger Hilfe
Geberkonferenz in Brüssel:Syrien: Zu viel Elend und immer weniger Hilfe
von Nils Metzger
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In Brüssel tagt die EU-Geberkonferenz für Syrien. Während die Spendenbereitschaft sinkt, steigt die Armut. Wasser und Essen sind knapp. Es ist die lange Rache der Assad-Diktatur.
Zum siebten Mal tagt in Brüssel die internationale Geberkonferenz für Syrien. Dabei geht es um nicht weniger, als die Versorgung von Millionen Menschen mit dem Allernotwendigsten für ein weiteres Jahr zu finanzieren. Von den hier bereitgestellten Milliarden hängt es ab, ob verarmte oder geflüchtete Familien Essen und medizinische Versorgung erhalten - oder hungern müssen.
Davor warnt ein breites Bündnis an Hilfsorganisationen. "Noch nie waren in Syrien seit Ausbruch des Bürgerkriegs so viele Menschen in Ungewissheit darüber, was sie morgen essen sollen", teilte die Diakonie Katastrophenhilfe mit. Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen strich laut eigenen Angaben bereits seine Hilfen in Syrien für rund 2,5 von 5,5 Millionen Menschen, weil zu wenig Geld bereitstehe.
Geberkonferenz kann Hilfsbedarf wieder nicht decken
Die Vereinten Nationen (UN) haben für 2023 einen Finanzierungsbedarf von rund fünf Milliarden Euro für Syrien selbst und über 5,2 Milliarden Euro für die Nachbarländer identifiziert. Wie schon in den Jahren zuvor wird die von der Europäischen Union (EU) organisierte Geberkonferenz diese UN-Berechnung nicht annährend erfüllen können.
Bente Scheller, Leiterin des Nahost-Referates der Grünen-nahen Heinrich-Boell-Stiftung, kritisiert gegenüber ZDFheute:
Erste finanzielle Zusagen wurden am Donnerstagnachmittag bekannt. Die EU stelle für das laufende Jahr 1,5 Milliarden Euro und für 2024 560 Millionen Euro bereit, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Bei der Konferenz im Mai 2022 hatte die Europäische Kommission noch 3,1 Milliarden Euro zugesichert. Ein deutlicher Rückgang.
Deutschland sagte am Donnerstag 1,05 Milliarden Euro zu, den identischen Betrag wie 2022. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte am Donnerstag in Brüssel:
Die Folgen der Erdbeben in Syrien sind verheerend, doch Unterstützung kommt kaum ins Land. ZDFheute live zeigt, wie Krieg und Machtkämpfe Hilfe verhindern.08.02.2023 | 29:05 min
So schlimm ist die humanitäre Lage in Syrien
Auch das International Rescue Committee (IRC) spricht von einer alarmierenden Lage in Syrien. Mehr als 15 Millionen Menschen benötigten humanitäre Hilfe, was einem Anstieg um 23 Prozent seit 2020 entspreche. Nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg hat die Währung drastisch an Wert verloren.
Vor allem in einst von Oppositionsgruppen kontrollierten Gebieten ist die Lage dramatisch; ein Wiederaufbau der Infrastruktur durch die Regierung bis auf wenige Ausnahmen weder politisch gewollt noch wirtschaftlich möglich. Millionen Menschen im Norden und Osten des Landes haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. In den Provinzen Aleppo und Deir ez-Zor gibt es darum immer wieder Cholera-Ausbrüche.
Das schwere Erdbeben mit mindestens 8.500 Toten in Syrien Anfang Februar hat die Lage nachhaltig verschlimmert. Eine eigene Geberkonferenz der EU konnte zwar sieben Milliarden Euro für die betroffenen Gebiete in der Türkei und Syrien bereitstellen, vor allem die syrischen Rebellengebiete erreichte die Hilfe aber nur schwer.
Ein Hindernis ist, dass die Assad-Regierung darauf drängt, dass alle Hilfe über Stellen in Damaskus laufen müsse. Hilfsorganisationen warfen Behörden auch immer wieder vor, Einfluss auf die Arbeit des Syrischen Roten Halbmonds zu nehmen und Hilfsgüter umzuleiten oder einzubehalten.
Was ist mit den Nachbarländern Syriens?
5,4 Millionen Syrerinnen und Syrer leben in Flüchtlingslagern in den Nachbarländern. Auch dort wachsen die Ressentiments gegen Geflüchtete; gefördert und aufgegriffen von der Politik. Libanon etwa hat seit der dortigen Wirtschaftskrise die Zwangsausweisung von geflüchteten Syrern deutlich ausgeweitet.
Gleichzeitig kehrt die Assad-Regierung politisch mehr und mehr in den Kreis der arabischen Staaten zurück. Seit Mai darf Damaskus wieder seine volle Mitgliedschaft in der Arabischen Liga ausüben. Auf die humanitäre Hilfe werde das aber kaum Auswirkungen haben, so Expertin Scheller.
An dieser Gewichtung werde auch die diplomatische Normalisierung nichts ändern. "Das Regime hofft auf Investitionen aus den Golfstaaten; angesichts der schlechten Sicherheitslage in den regimekontrollierten Gebieten, in denen Milizen um Einfluss rangeln und Korruption weiterhin ein besorgniserregendes Ausmaß hat, wird das vermutlich aber noch dauern", sagt Scheller.
Keine politische Veränderung: Weiter Unterdrückung und Gewalt
Die Intensität des Konflikts hat in vielen Landesteilen zwar abgenommen, noch immer gibt es aber fast täglich Anschläge, Bombardierungen und Gefechte, bei denen Soldaten und Zivilisten sterben. Dazu kommt die alltägliche Gewalt und Unterdrückung durch die syrischen Sicherheitsbehörden und Geheimdienste. Kritik an der Regierung bleibt lebensgefährlich.
Über 100.000 Menschen sind spurlos in Gefängnissen verschwunden - für die meisten Fälle sei die Regierung verantwortlich, sagt Scheller. Tausende wurden zu Tode gefoltert. "Dass sich daran etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Die einzige Methode für das Regime, sein Überleben zu sichern, ist willkürlich Gewalt auszuüben und alle stets in Angst zu halten, dass sie die nächsten sein könnten."
Auf ihrem Gipfel in Dschidda will die Arabische Liga nach zwölf Jahren Syriens Machthaber Baschar Al-Assad wieder aufnehmen. Ein verheerendes Signal für Assads Opfer.