Schutz für Sudanesen: Halten RSF und Armee ihr Versprechen?

    Interview

    Vereinbarung für Zivilschutz:Sudan: Was ist das Wort der Generäle wert?

    |

    Eine neue Vereinbarung soll die Sudanesen während des tobenden Machtkampfs der Generäle schützen. Doch stehen die Militärs zu ihren Unterschriften? Eine Expertin hat daran Zweifel.

    Menschen fliehen vor der Gewalt im Sudan
    Menschen fliehen vor der Gewalt im Sudan: Setzen die Generäle ihre Vereinbarung zum Zivilschutz um?
    Quelle: epa

    Wenige Menschen in Deutschland kennen den Sudan so gut wie Marina Peter. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die Leiterin des Sudan- und Südsudan-Forums mit Sudanesinnen und Sudanesen für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratisierung. Nun beobachtet sie den Machtkampf der Generäle, der das Land seit fast einem Monat in Geiselhaft nimmt.
    Ein Gespräch über die Zivilschutz-Vereinbarung von Dschidda, die skrupellosen Militärs und den Mut der Menschen, die allen Rückschlägen zum Trotz an eine demokratische Zukunft glauben.
    ZDFheute: Der Machtkampf zwischen den Streitkräften des Sudans und den paramilitärischen Rapid Support Forces dauert fast einen Monat an - alle vereinbarten Waffenruhen scheiterten. Jetzt wollen beide Seiten den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten - wie bewerten Sie die Vereinbarung?
    Marina Peter: Natürlich ist es wichtig, dass überhaupt Gespräche stattfinden, die zu einem Waffenstillstand führen sollen. Jetzt haben die beiden Parteien etwas unterzeichnet, zu dem sie nach internationalem Recht ohnehin verpflichtet sind: umfassender Schutz der Zivilbevölkerung, Zugang zu humanitärer Hilfe gewährleisten.
    Warum sollten wir glauben, dass sie dieses Mal zu ihrer Unterschrift stehen? Weil ihre Truppen eventuell auch einen Teil der humanitären Hilfe für sich selbst brauchen?

    Beide Generäle haben oft genug bewiesen, dass zivile Leben für sie überhaupt nicht zählen.

    Marina Peter, Leiterin Sudan- und Südsudan-Forum

    Schon beim Darfur-Konflikt haben beide gewütet, haben Zivilisten vertrieben oder auch getötet. Im Südsudan-Krieg habe ich persönlich erlebt, wie die Luftwaffe eine Schule und ein Krankenhaus bombardiert hat, am Tag, als ich dort zu Besuch war.
    Vertreter der sudanesischen Armee und und der paramilitärischen RSF-Miliz haben eine Erklärung zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Ermöglichung humanitärer Hilfe unterzeichnet.
    Zum Schutz von Zivilisten haben Vertreter der Armee und der RSF-Miliz eine Erklärung unterzeichnet. Nach US-Angaben verpflichtet die Erklärung eine Ermöglichung humanitärer Hilfe.12.05.2023 | 0:45 min
    ZDFheute: Auch im aktuellen Konflikt hat die Armee Ziele in der Millionen-Metropole Khartum bombardiert.
    Peter: So ist es, ohne jede Rücksicht auf zivile Opfer. Die RSF richten ihre militärischen Stellungen allerdings auch bewusst dort ein, wo viele Menschen leben - oder jetzt auch in Krankenhäusern und Privatwohnungen, die sie einnehmen. Das ist eine Strategie: Sie benutzen Menschen als Schutzschilde, in der Hoffnung, dass die andere Seite zurückschreckt.
    Aber in dem Krieg jetzt zeigt sich, dass keine Seite zurückschreckt. Im Gegenteil, beide Seiten nehmen Opfer bewusst in Kauf und unterstreichen das auch durch ihr aktives Tun. Sie bombardieren, plündern, vergewaltigen, brennen Märkte nieder. Sie terrorisieren die Bevölkerung. Das sind Kriegsverbrechen.

    Der Machtkampf zwischen den sudanesischen Streitkräften und den paramilitärischen Rapid Support Forces ist am 15. April eskaliert. Seitdem liefern sich beide Gruppierungen Gefechte. Besonders betroffen sind die Hauptstadt Khartum sowie die Region Darfur im Westen des Landes.

    Nach offiziellen Angaben sind bislang 604 Menschen getötet und mehr als 5.100 Menschen verletzt worden. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind mittlerweile 736.000 Menschen innerhalb des Sudans auf der Flucht. Mindestens 171.000 Menschen sind in die benachbarten Länder Ägypten, Libyen, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Äthiopien und Südsudan geflüchtet. Im Falle des Südsudans handelt es sich vor allem um Südsudanesinnen und Südsudanesen, die in ihr Land zurückkehren.

    ZDFheute: In der Vereinbarung zum Schutz der Zivilbevölkerung verpflichten sich die Konfliktparteien, humanitäre Helfer ins Land zu lassen, Krankenhäuser sowie Wasser- und Elektrizitätswerke wieder zu räumen. Wie sehr drängt das?
    Peter: Das musste jetzt sofort passieren, denn es fehlt momentan an allem. Wichtige Infrastruktur ist zerstört. Die Zugänge zu Trinkwasser und Nahrungsmitteln sind stark eingeschränkt in den Kampfgebieten, Elektrizität ist ein gewaltiges Problem, die Gesundheitsversorgung in manchen Regionen zusammengebrochen.
    Banken sind geschlossen, die Menschen kommen nicht mehr an Geld. Gleichzeitig sind die Preise für alles gestiegen. Menschen, die fliehen möchten, können die Fahrpreise nicht mehr bezahlen. Auch viele Wohlhabende können nicht fliehen, weil sie verreisen wollten und ihre Pässe in den verwaisten Botschaften liegen.
    ZDFheute: Bislang helfen sich die Menschen im Sudan selbst, um zu überleben. Wie organisiert sich die Zivilbevölkerung?
    Peter: Die Widerstands-Komitees, die sich auch für den demokratischen Prozess engagieren, leisten in dieser Gemengelage unheimlich viel, durch ihre Noträume, die sie schon während der Corona-Pandemie etabliert haben. Sie bergen Tote, koordinieren Hilfe, machen Anrufe, fragen herum: Wer hat Medikamente, wer hat noch Nahrung, wer kann einen sicheren Weg organisieren?
    Diese Nachbarschaftspolitik funktioniert fast flächendeckend im ganzen Land - und trägt einen ganz wesentlichen Beitrag dazu bei, dass Menschen noch versorgt werden können. Ich bin 1,80 Meter groß, aber wenn ich sehe, was die vor allem jungen Menschen in den Komitees leisten, fühle ich mich winzig klein.
    ZDFheute: Unterstützung brauchen jetzt auch die Geflüchteten im Land. Nach offiziellen Angaben war der Sudan vor Ausbruch der Gewalt Heimat für 1,1 Millionen Geflüchtete und 3,7 Millionen Binnenvertriebene. Welche Perspektiven haben diese Menschen?
    Peter: Die Situation ist für alle im Sudan schlimm. Aber ich will mir gar nicht vorstellen, was gerade in denen vorgeht, die sowieso schon einmal, zweimal, vielleicht sogar dreimal geflüchtet sind - Menschen aus Syrien, aus Eritrea, aus Äthiopien, aus dem Südsudan, die dachten, sie hätten endlich ein wenig Sicherheit gefunden. Die Frage ist ja: Wo sollen die hin?
    Nehmen Sie die Südsudanesinnen und Südsudanesen. Viele, die von dort in den Sudan geflohen sind, können nicht so einfach zurück. Teils toben in ihrer Heimat Kämpfe, teils fehlt eine Infrastruktur, die Menschen aufnehmen könnte, dann steht noch die Regenzeit bevor.
    Es braucht da jetzt auch in den Nachbarländern humanitäre Hilfe für alle, die über die Grenzen des Sudans nach Ägypten, Äthiopien, in den Tschad oder in den Südsudan flüchten.
    ZDFheute: Sie engagieren sich seit mehr als 30 Jahren für Frieden im Sudan, kennen General Mohammad Daglo, den Anführer der RSF persönlich. Hat die Zivilbevölkerung eine Chance auf Schutz und langfristig auch Frieden, solange Daglo und der General der Streitkräfte, Abdel Fattah al-Burhan, Macht und Einfluss haben?
    Peter: Meine sudanesischen Freundinnen und Freunde haben immer gewarnt: Es ist nicht die Frage, ob es zu einem Machtkampf zwischen beiden kommt, sondern wann. Beide sind Ziehsöhne des früheren Diktators Umar al-Baschir, beide haben ein Vermögen mit kriminellen Handlungen gemacht, im Schlepperwesen, als Söldner, mit der Ausbeutung von Gold.
    brand in einer stadt
    General gegen General, Armee gegen Miliz – im Sudan wüten brutale Kämpfe, auch internationale Machtansprüche spielen eine Rolle. Die Bevölkerung leidet enorm.26.04.2023 | 6:26 min
    Ich glaube nicht, dass es eine tragfähige Lösung mit Daglo und Burhan geben kann.

    Keiner von beiden hat auch nur annähernd ein Interesse an so etwas wie Demokratie oder einer zivilen Regierung.

    Marina Peter, Leiterin Sudan- und Südsudan-Forum

    Sie haben mächtige Unterstützer im Ausland. Und alte Kader der gestürzten Regierung, mit denen sie durchaus verbunden sind, hoffen auf eine Rückkehr an die Macht.
    ZDFheute: Trotzdem glauben viele Sudanesinnen und Sudanesen weiter an eine friedliche, demokratische Zukunft.
    Peter: Der Mut besonders der jungen Menschen, die trotz allem weitermachen, ist wirklich bemerkenswert. Immer wieder höre ich: "Es ist uns egal, wie viele von uns noch sterben werden. Wir haben unsere Angst überwunden."
    Natürlich macht es wütend und fassungslos, dass selbst im Jahr 2023 immer noch einzelne Männer mit ihren kriminellen, menschenverachtenden Systemen ihr eigenes Wohl über das der Bevölkerung stellen können. Aber das heißt nicht, dass es nicht vorangeht.
    Im Südsudan habe ich 2004 eine Studie gemacht und dort einen Mann interviewt, der mir gesagt hat: "Mensch, Marina, das kann noch 100 Jahre dauern, bis wir Frieden und Stabilität haben." Da habe ich gedacht: "Na bravo." Und dann hat er gesagt: "Aber mit allem, was wir heute tun, legen wir die Grundlage, dass es eines Tages so weit ist."
    Das Interview führte Kevin Schubert.

    Hintergründe zum Sudan-Konflikt