Brückenbauer in Ankara?:Habeck plötzlich auf heikler Mission
von Karl Hinterleitner, Ankara
Es sollte bei Habecks Türkei-Reise um Wirtschaft gehen, da meldet sich Recep Tayyip Erdogan zur Hamas zu Wort. Wie aus einem harmlosen Besuch in Ankara plötzlich ein heikler wurde.
Robert Habeck und der türkische Vizepräsident Cevdet Yilmaz in Ankara.
Quelle: picture alliance/dpa
Die Lage könnte kaum besser sein: Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Deutschland und der
Türkei nimmt stetig zu, der Handel nähert sich mit 50 Milliarden Euro dieses Jahr voraussichtlich einem Rekordvolumen - ökonomisch sind die deutsch-türkischen Beziehungen auf gutem Weg. Beste Voraussetzungen für den Besuch des Wirtschaftsministers - wäre da nicht der
Nahost-Konflikt.
Als
Robert Habeck (
Grüne) in den Saal tritt, ist die Begrüßung durch Cevdet Yilmaz demonstrativ freundlich. Dabei weiß der Stellvertreter von Präsident
Recep Tayyip Erdogan natürlich auch, was sein Chef am Vortag gesagt hat: die Hamas sei keine Terrororganisation, sondern führe einen legitimen
Freiheitskampf für Palästina. Ein fundamentaler Widerspruch zur Position der deutschen Regierung. Es ist der Elefant im Raum beim Besuch des Vizekanzlers - und soll es den ganzen Tag über bleiben.
Im Konflikt zwischen Israel und der Hamas versteht sich der türkische Präsident Erdogan als Vermittler. In Istanbul demonstrierten Menschen für die palästinensische Seite.18.10.2023 | 5:53 min
Deutschland und die Türkei: Zusammenarbeit boomt
Nun ist es nicht der Job des Wirtschaftsministers, Außenpolitik zu betreiben: In seinem eigenen Ressort hat Robert Habeck genug Themen zu beackern: Zahlreiche deutsche Firmen, die seit über 100 Jahren am Bosporus präsent sind, großangelegte Kooperationen: So soll Siemens das türkische Schienennetz ausbauen, Airbus stattet Turkish Airlines aus, eine der am schnellsten wachsenden Fluglinien der Welt.
Milliardenschwere Aufträge winken oder sind schon unter Dach und Fach. Der Türkei-Tourismus boomt mit über sechs Millionen deutschen Besuchern, der Handel zwischen den beiden Ländern bewegt sich in diesem Jahr auf das Niveau von 50 Milliarden Euro zu: ein neuer Rekord.
Türkei unter Erdogan gespalten
Dennoch: Alle Erfolgsmeldungen können das Hintergrundrauschen nicht übertönen. Die Türkei unter Erdogan steht für andere Werte als der Westen. Das Land ist gespalten: Rund die Hälfte der Bevölkerung folgt Erdogan und der AKP, die andere lehnt ihn ab, die Städte sind gegen ihn, die Landbevölkerung verehrt ihn als großen Führer.
Die säkulare Türkei ist erschrocken über den islamischen Führungsanspruch Erdogans und seine Verbindung zu den Muslimbrüdern. Nirgends wird das deutlicher als gerade jetzt: Am Sonntag wird die türkische Republik 100 Jahre alt und Erdogan würdigt das Jubiläum so gut wie nicht.
Die Gründung der Türkei beginnt am 29. Oktober 1923 mit der Ausrufung durch Mustafa Kemal Atatürk und der Verlegung der Hauptstadt von Istanbul nach Ankara.20.10.2023 | 2:09 min
Keine große Feier, keine internationale Veranstaltung, keine Staatsgäste. So als wäre ihm der Geburtstag peinlich - und das ist er wohl auch, denn von den Prinzipien Atatürks will seine Regierung nichts wissen.
Türkei entfernt sich von der EU: Habeck appelliert, im Gespräch zu bleiben
Dennoch sei es "richtig und wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben". Nur so könne überhaupt noch Kooperation gelingen. Immerhin sei die Türkei bereit, in der Frage der Geiseln zu vermitteln , so weit das möglich ist.
Und: Auch die Türken sähen, wie Deutschland, ein Zwei-Staaten-Modell als Ziel in Nahost. Soll heißen: Habeck betont die (wenigen) Übereinstimmungen in dieser Frage.
Habeck: Vielleicht der richtige Minister am richtigen Ort
Dem Wirtschaftsminister bleibt also letztlich nur eine Rolle: Den Türöffner geben, die Gesprächskanäle offenhalten und die Bereiche ansprechen, bei denen sich trotz aller Differenzen noch Gemeinsamkeiten finden lassen.
Die ökonomischen Interessen beider Länder eignen sich dazu bestens - eine der wenigen bilateralen Erfolgsgeschichten. Insofern ist mit Robert Habeck vielleicht doch gerade der richtige Minister am richtigen Ort. Auch wenn das an der türkischen Haltung zur Hamas nichts ändern wird und der Elefant im Raum der deutsch-türkischen Beziehungen da bleibt, wo er ist.