Soziologe kritisiert Razzia gegen "Letzte Generation"

    Interview

    Razzia gegen Klima-Aktivisten:Wohin entwickelt sich "Letzte Generation"?

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    Die Razzia gegen die "Letzte Generation" hat viele überrascht. Der Soziologe Matthias Quent kritisiert: So treibe man friedliche Aktivisten möglicherweise in die Radikalisierung.

    Polizisten kommen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg aus einem Gebäude.
    Durchsuchungen bei "Letzter Generation" - bundesweit gab es Razzien in sieben Bundesländern.
    Quelle: dpa

    Die Razzia gegen Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" kam in dieser Dimension für viele überraschend: Beamte durchsuchten in sieben Bundesländern insgesamt 15 Objekte. Darunter auch die Privatwohnung der Sprecherin Carla Hinrichs. Bankkonten, die Webseite und Mail-Adressen wurden erst einmal beschlagnahmt. Es geht um den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung. Die Gruppe kündigte am Montagmittag an, trotzdem weiter zu machen - und rief zu Protestmärschen auf.
    Der Soziologe und Radikalisierungs-Forscher Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal kritisiert die Maßnahmen. Drei Fragen - drei Antworten.

    1. Ist die Razzia gegen die "Letzte Generation" gerechtfertigt?

    Matthias Quent: "Juristisch kann ich das nicht beurteilen.

    Die Aktivisten der 'Letzten Generation' sind bislang aber auffällig friedlich. Sie wehren sich nicht einmal, wenn sie von Autofahrern verprügelt werden.

    Matthias Quent, Soziologe

    Sie stellen sich auch der Strafverfolgung. Die Ermittlungen der bayerischen Justiz haben mich deshalb überrascht - eine Einstufung als kriminelle Vereinigung wäre ein scharfes Schwert."

    ... ist Soziologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, Radikalisierung und Hasskriminalität. Zudem beriet Quent Untersuchungsausschüsse mehrerer Landtage und des Deutschen Bundestags.

    2. Wohin könnte sich der Protest der "Letzten Generation" entwickeln?

    Quent: "Soziale Bewegungen radikalisieren sich häufig, wenn sie sich isoliert und in den Untergrund gedrängt fühlen. Razzien dieser Art können dazu führen, dass künftig klandestine Aktionen durchgeführt werden. Es ist gut möglich, dass die Kriminalisierung innerhalb der Klimabewegung zu Radikalisierung führen kann und dass diese auch im Interesse ihrer politischen Gegner ist.

    Solche Razzien verstärken auch die Entfremdung zwischen Teilen der Klimabewegung und den Repräsentanten des Staats.

    Matthias Quent, Soziologe

    Denn bei ihnen entsteht der Eindruck, dass der Staat mehr gegen Menschen macht, die gegen den Klimawandel protestieren, als gegen den Klimawandel selbst. Und plötzlich sehen sich einige Aktivisten wie Terroristen behandelt.

    3. Welche Rolle spielt es, dass die Großrazzia von der bayerischen Justiz ausging?

    Quent: "Bayern hat bei Klima-Protestierenden schon mehrfach auf Law-and-Order-Methoden gesetzt. So wurden einige Aktivisten präventiv eingesperrt - das Ganze hat den Beigeschmack eines autoritären politischen Muskelspiels. In Bayern sind zudem dieses Jahr Landtagswahlen - das kann auch eine Rolle spielen."
    Das Interview führte Julia Klaus.
    xyz
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