Israel-Konflikt an Schulen: "Emotionen entladen sich"

    Interview

    Wie mit Antisemitismus umgehen?:Nahostkonflikt hat Schulhof erreicht

    Dorthe Ferber
    von Dorthe Ferber
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    In einer Berliner Schule gab es eine Auseinandersetzung zwischen einem Schüler mit Palästina-Fahne und einem Lehrer. Der Nahostkonflikt ist an den Schulen angekommen. Was tun?

    Desirée Galert leitet die Praxisstelle Bildung und Beratung der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA). Die Initiative beschäftigt sich mit der Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus, Hass und Intoleranz in der Migrationsgesellschaft. Sie stellt Schulen Materialien zur Verfügung und veranstaltet Workshops.
    ZDFheute: Was erleben Sie seit dem vergangenen Wochenende? 
    Desirée Galert: Es gibt einen regelrechten Ansturm, Schulen überhäufen uns mit Anfragen, wie sie mit Konflikten unter Schülerinnen und Schülern umgehen sollen.

    Emotionen entladen sich, in einer Berliner Schule kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen einem Schüler mit einer  Palästinenserflagge und seinem Lehrer.

    Desirée Galert

    Wir bereiten uns auf noch größere Probleme in Schulen vor, wenn es tatsächlich eine Bodenoffensive Israels geben sollte.  

    Am Montag ist ein 14-jähriger Schüler mit einer Palästina-Flagge in seine Schule in Berlin-Neukölln gekommen. Ein 61-jähriger Lehrer wollte ihm das Tragen politischer Symbole verbieten. Daraufhin griff ein 15-jähriger Schüler ein und versetzte dem Lehrer einen Kopfstoß. Der Lehrer wehrte sich den Angaben zufolge und schlug den Schüler, der dann wiederum nach dem Lehrer trat.

    ZDFheute: Was raten Sie den Lehrkräften? 
    Galert: In der aktuellen Situation geht es erstmal darum, Emotionen raus zu nehmen. Sich gar nicht erst verwickeln zu lassen in Konfliktsituationen. Dazu müssen Lehrkräfte wahrnehmen, wo die Schülerinnen und Schüler überhaupt stehen.
    Die haben in den vergangenen Tagen in den sozialen Netzwerken Videos gesehen, die Gewalt verherrlichen und Hass schüren. Videos, die Lehrerinnen und Lehrer nicht kennen. Also geht es zunächst ums Zuhören und Reflektieren. Bei eindeutigen Grenzüberschreitungen, wie etwa Gewaltaufrufen, muss man jedoch konsequent einschreiten.

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    ZDFheute: Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Schulen zum Umgang mit Antisemitismus. Wo liegen da die Probleme?  
    Galert: Es gibt blinde Flecken bei der Behandlung der Themen Nahostkonflikt und Antisemitismus im Unterricht. Lehrkräfte selbst zeigen sich verunsichert, es fehlt an Hintergrundwissen. Es sind sehr komplizierte und sehr emotionale Themen.
    Auch wird nicht immer erkannt, wie wichtig diese Themen in der Schule sind. Was hat der Nahostkonflikt denn mit uns zu tun? Wie viel Zeit brauchen diese Themen schulisch in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft? Denn Schülerinnen und Schüler bekommen natürlich mit, was zu Hause gesprochen wird. Sie bringen Gefühle mit, aber kein Wissen.
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    ZDFheute: Was müsste sich denn ändern in den Schulen? 
    Galert: Es geht um Wissensvermittlung und um Bewusstsein für eine heterogene Schülerschaft. Wir versuchen, so genannte Widerspruchstoleranz bei Kindern und Jugendlichen zu fördern: Sie sollen lernen, andere Perspektiven kennenzulernen und dann auch mal auszuhalten, das ist wichtig in einer Demokratie.
    Zugleich müssen sich Lehrkräfte mit Verschwörungserzählungen beschäftigen und sich auch selbst im Umgang mit Stereotypen hinterfragen. Kenne ich meine Schülerinnen und Schüler? Bin ich offen und ihren kulturellen Zusatzqualifikationen gegenüber aufgeschlossen? Wir wollen ohne Diskriminierung arbeiten – ein Antisemitismus-Workshop in einer Schule funktioniert nur dann, wenn Schülerinnen und Schüler nicht als antisemitisch gelten.   
    Das Interview führte Dorthe Ferber aus dem ZDF-Hauptstadtstudio

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