Grüne und Habeck: Warum das Image bröckelt

    Kritik aus eigenen Reihen:Grüne und Habeck: Warum das Image bröckelt

    von David Gebhard, Felix Klauser, Marta Orosz
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    Nach der Graichen-Affäre und der Bremer Wahlschlappe wird die Kritik an den Grünen aus den eigenen Reihen lauter. Die Sorge: Habecks Ministerium könnte die Energiewende gefährden.

    05.05.23, Berlin, Deutschland: Habeck auf der Grünen-Konferenz "Grüne Wärme für alle"
    Vom Krisenmanager zum Buhmann30.05.2023 | 9:41 min
    Saubere und transparente Politik - dafür haben sich die Grünen im Bundestagswahlkampf 2021 eingesetzt. Wirtschaftsminister Robert Habeck profilierte sich seither als begnadeter Erklärer und wurde über Grünen-Parteigrenzen hinweg für seinen Kommunikationsstil gefeiert.
    Sein Haus stellte unter Hochdruck die Energieversorgung um - weg vom russischen Gas. Doch das nebenbei erarbeitete Gebäudeenergiegesetz, das Kernstück der Energiewende, wurde zum Zankapfel - und Habecks Image als Krisenmanager bekommt Risse.

    Habeck stürzt in den Umfragen ab

    Noch vor einem Jahr war er der beliebteste Politiker Deutschlands - seitdem stürzen er und seine Partei in den Umfragen ab.
    Grafik zum ZDF-Politbarometer zur Frage nach Wirtschaftsminister Habeck
    ZDF-Politbarometer
    Quelle: ZDF

    Überschattet wird das Image von der sogenannten Trauzeugenaffäre rund um Habecks ehemaligen Staatssekretär Patrick Graichen. Sie bestimmte wochenlang die Schlagzeilen und löste eine Glaubwürdigkeitskrise im grünen Wirtschaftsministerium aus.
    Graichen, bis Mitte Mai Habecks Energie-Staatssekretär und Architekt des geplanten Heizungsgesetzes, war Mitglied einer Findungskommission, die Graichens Trauzeuge zum Chef der Energieagentur ausgewählt hat. Der ehemalige Staatssekretär bewilligte außerdem Fördergelder für die Naturschutzorganisation BUND, in der seine Schwester Verena Graichen die stellvertretende Vorsitzende ist.

    Haben die Grünen den Außenblick verloren?

    Patrick Graichen ist nicht mehr im Amt, sein Trauzeuge hat es nie angetreten. Doch die Interessenskonflikte rund um die familiären und freundschaftlichen Verflechtungen stellten auf einmal den Beraterkreis des Ministers infrage.
    "Was sich da abgespielt hat, verstärkt den Eindruck, dass es da eine Art 'Closed Shop' zwischen Politik, grün angehauchter Energiewirtschaft und Wissenschaft gibt", sagt Politikwissenschaftler Hubert Kleinert im Gespräch mit ZDF frontal.
    Als Weggefährte Joschka Fischers gehörte Kleinert zu den ersten Abgeordneten der Grünen im Bundestag und wurde später Landeschef in Hessen. Die Grünen hätten in der Regierungsverantwortung aus seiner Sicht den Außenblick ein Stück weit verloren.
    Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation blockieren A100 in Berlin
    Klimaaktivisten wollen Berlin lahmlegen. Über den Protest und mögliche Fehler der Politik diskutieren Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar und Aktivist Raphael Thelen.24.04.2023 | 32:07 min

    Ökonom fühlt sich ausgeschlossen

    Kritik an den Grünen kommt auch von Ökonom Reint Gropp, Leiter des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Denn er fühlt sich vom engen Kreis von Verbänden und Beratern, mit dem sich Habecks Haus umgibt, ausgeschlossen. Er vermisse auch die offene Diskussionskultur, die er früher bei den Grünen geschätzt habe, erklärt er ZDF frontal. "Das Wirtschaftsministerium greift sehr stark auf wenige Forschungsinstitute zurück, die durchaus ausgewiesen sind in ökologischen Fragen", sagt Gropp.
    Doch es gäbe auch viele andere Institute, die schon sehr lange einen kohärenten Plan für die Gestaltung der Energiewende hätten.

    Man lässt viel Expertise liegen und das kann uns am Ende doch sehr teuer zu stehen kommen, weil die Transformation so gewaltig ist.

    Reint Gropp, Leiter des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle

    Mehrheit der Deutschen für Heizen mit Öko-Energie

    Diese Vorwürfe kontert der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter. Früher seien klassische Lobbyisten aus der Öl- und Gasindustrie es gewohnt gewesen, dass sie die Politik exklusiv beraten durften. "Jetzt müssen sie die Beratung auch mit der Zivilgesellschaft, mit Umweltverbänden, mit Vertretern der erneuerbaren Industrie und mit dem Handwerk teilen", sagt Hofreiter. In Wirklichkeit sei das ein Gewinn.
    ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Ines Trams
    Die Verhandlungen der letzten Tage seien geprägt von "Deeskalation auf sämtlichen Seiten", allerdings sei in der Ampel-Regierung "Streit so etwas wie ein chronischer Zustand“ , so ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Ines Trams.31.05.2023 | 3:48 min
    Fest steht: Trotz Uneinigkeit in der Regierungskoalition über die Gestaltung des Heizungsgesetzes findet es eine Mehrheit der Befragten in Deutschland laut aktuellem ZDF-Politbarometer gut, wenn ab 2024 neu eingebaute Heizungen zu 65 Prozent mit Öko-Energie betrieben werden:
    Politbarometer: Neue Heizungen ab 2024
    Dem Politbarometer nach ist eine Mehrheit unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. 60 Prozent der Jüngeren finden, die Klimaschutzmaßnahmen werden zu langsam umgesetzt.26.05.2023 | 0:59 min
    Inzwischen gibt es im Streit ums Heizungsgesetz eine Annäherung zwischen den Koalitionspartnern. Noch ist offen, ob es vor der Sommerpause verabschiedet werden kann. Am Dienstagabend einigte sich die Ampel laut Bundesbauministerium zunächst auf ein Gesetz für kommunale Wärmepläne, das Orientierung für Bürgerinnen und Bürger geben soll.
    Doch werden die Grünen die Mammutaufgabe Energiewende nach all dieser Kritik noch voranbringen können? "Das Projekt Energiewende ist so kompliziert, so umfassend, dass der verantwortliche Minister einen gewissen Vertrauensvorschuss in der Gesellschaft braucht, wenn er das durchsetzen will", erklärt er.

    Wenn er aber selber solche Glaubwürdigkeitsprobleme provoziert, ist das natürlich auch für das inhaltliche Projekt hochgradig gefährlich.

    Hubert Kleinert (Grüne), Politikwissenschaftler

    frontal
    Quelle: ZDF

    Mehr zu dem Thema sehen Sie bei frontal ab 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

    Politikerin sieht sich von Grünen entfremdet

    Innerhalb der grünen Partei rumort es währenddessen weiter: Das zeigte sich zuletzt am Beispiel der grünen Vizepräsidentin der Bremer Bürgerschaft, Sülmez Çolak. Kürzlich war sie noch die Spitzenkandidatin der Grünen in Bremerhaven. "Was in den letzten Monaten mit der Vetternwirtschaft und mit dem Heizungsgesetz passiert ist, zeigt ganz deutlich, dass die Grünen den Bezug zu den Menschen einfach verloren haben", sagt sie im Gespräch mit ZDF frontal.
    Çolak trat nach 20 Jahren aus der Partei aus. Der Grund: Sie und die Grünen hätten sich zu sehr entfremdet.
    Sitzblockade Klimakleber der "Letzten Generation" an Verkehrskreuzung mit Transparent "Mehr Demokratie: Gesellschaftsrat jetzt!"
    Die Grünen und die Klimakleber25.04.2023 | 9:37 min

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