Deutscher Gemeinsinn: Warum unser Zusammenhalt in Gefahr ist
Deutscher Gemeinsinn:Warum unser Zusammenhalt in Gefahr ist
von Christian Volk
|
Polarisiert, feindselig, gespalten: In Krisenzeiten nehmen auch die gesellschaftlichen Spannungen zu. Eine Studie zeigt jetzt, wie es um das Wir-Gefühl im Land steht.
Die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland nimmt zu. Eine Studie zeigt, warum. (Symbolfoto)
Quelle: dpa
Auf 132 Seiten zeichnen die Wissenschaftler vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) ein Bild der deutschen Gesellschaft. Die Studie, die ZDFheute vorab vorliegt, zeigt: Eine Mehrheit der Menschen umgibt sich im Alltag vor allem mit Personen, die ihnen ähneln. Sie leben demnach in sogenannten "sozialen Blasen".
"Die Menschen distanzieren sich auf verschiedene Arten von anderen Gruppen", sagt FGZ-Sprecher und Soziologieprofessor Olaf Groh-Samberg. "Das reicht von unterbewusstem Vorgehen bis hin zur offenen Feindseligkeit."
Die wichtigsten Ergebnisse:
Die Studie stellt fest, dass vor allem politische Haltungen zur Abschottung beitragen. Eine starke Tendenz dazu gebe es unter Grünen- und AfD-Sympathisanten. 62 Prozent der potentiellen Grünen-Wähler und 50 Prozent der potentiellen AfD-Wähler lebten in einem politisch gleichgesinnten Bekanntenkreis, heißt es.
Erhöhte gemeinschaftliche Ideale in Familie, Nachbarschaft und auch im Bereich der politischen Willensbildung gebe es im ländlichen Bereich, sagen die Autoren. Der Fokus der Menschen konzentriere sich stärker auf traditionalistische Werte. Das Gegenteil trifft demnach auf Personen zu, die in großstädtischen Netzwerken leben.
Menschen, die in armen Blasen sozialisiert sind, spüren laut den Forschern weniger Zusammenhalt und werden häufiger abgewertet als wohlhabende Menschen. Deshalb präferierten sie, etwa Gemeinschaft in der Familie auszuleben.
Personen mit reichen Netzwerken neigen im Gegensatz zu Menschen mit ärmeren Blasen zu einer traditionalistischen Werthaltung. Dagegen sind ärmere und weniger gebildete Gruppen anfälliger für populistische Orientierungen.
Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander
Von den Erkenntnissen ist Olaf Groh-Samberg nicht überrascht.
Wir sehen seit langem, dass etwa die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht.
„
Olaf Groh-Samberg, Soziologe
Quelle: Lukas Klose
...ist Professor für Soziologie am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) der Universität Bremen. Er beschäftigt sich vor allem mit den Strukturen, Bedingungen und Folgen sozialer Ungleichheit. Groh-Samberg ist geschäftsführender Sprecher des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Hinzu würden kulturelle Veränderungen kommen - wie Sensibilität für Nachhaltigkeit - oder Entwicklungen wie die Globalisierung und zunehmende Migration. "Krisen verstärken diese Vorgänge", sagt Groh-Samberg. So habe die Energiekrise für eine weitere Entfremdung gesorgt.
Krisen sorgen für Gräben in der Gesellschaft
Während Corona war der Soziologe zunächst zuversichtlich. Vor allem die Hilfsbereitschaft auf lokaler Ebene habe er als Chance gesehen. "Im Laufe der Pandemie sind die Konflikte zwischen den gesellschaftlichen Gruppen aber immer größer und vor allem feindseliger geworden", sagt Groh-Samberg. "Das hat positive Entwicklungen überlagert."
Stehen die Deutschen hinter der "Zeitenwende"? Der Soziologe Heinz Bude sagt, viele wollten nach der Pandemie zurück zur Normalität. Die Politik mache einen chaotisierten Eindruck.18.06.2023 | 0:35 min
Reaktionen auf einige aktuelle Ereignisse, wie etwa den Krieg im Nahen Osten und die pro-palästinensischen und pro-israelischen Demonstrationen in Deutschland finden sich noch nicht in den Daten der Studienmacher. Diese sind aus Befragungen im vergangenen Jahr entstanden. Dennoch ist für Groh-Samberg klar:
Mit jeder neuen Krise brechen immer neue Gräben innerhalb unserer Gesellschaft auf.
„
Olaf Groh-Samberg, Soziologe
Deutschland befindet sich immer öfter im Streitmodus. Die vielen Krisen, wie Pandemie und Inflation, polarisieren und spalten sogar Familien. Kann unsere Gesellschaft solchen Belastungen noch standhalten?19.08.2023 | 4:58 min
Welche Lösungsansätze es gibt
Als Herausforderung für die kommenden Jahre sieht der Macher der Studie deshalb, diese Gräben zu überwinden. Es gehe in einer Demokratie nicht darum, dass alle die gleiche Meinung haben. Stattdessen brauche es Streit in einer Gesellschaft, aber auch Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Einstellungen, sagt Groh-Samberg.
Ein wichtiger Punkt ist etwa die Stadtplanung: Wir müssen künftig verhindern, dass Gruppen vollkommen isoliert voneinander leben, ohne Kontakt zu Menschen anderer Blasen.
„
Olaf Groh-Samberg, Soziologe
Außerdem könne ein soziales Pflichtjahr, wie es Bundespräsident Steinmeier vorgeschlagen hatte, dazu beitragen, Zusammenhalt zu stärken. Hoffnung gibt Groh-Samberg eine weitere Erkenntnis aus der Studie: Noch schottet sich nicht die gesamte deutsche Gesellschaft in sozialen Blasen ab.
Um dir eine optimale Website der ZDFmediathek, ZDFheute und ZDFtivi präsentieren zu können, setzen wir Cookies und vergleichbare Techniken ein. Einige der eingesetzten Techniken sind unbedingt erforderlich für unser Angebot. Mit deiner Zustimmung dürfen wir und unsere Dienstleister darüber hinaus Informationen auf deinem Gerät speichern und/oder abrufen. Dabei geben wir deine Daten ohne deine Einwilligung nicht an Dritte weiter, die nicht unsere direkten Dienstleister sind. Wir verwenden deine Daten auch nicht zu kommerziellen Zwecken.
Zustimmungspflichtige Datenverarbeitung • Personalisierung: Die Speicherung von bestimmten Interaktionen ermöglicht uns, dein Erlebnis im Angebot des ZDF an dich anzupassen und Personalisierungsfunktionen anzubieten. Dabei personalisieren wir ausschließlich auf Basis deiner Nutzung der ZDFmediathek, der ZDFheute und ZDFtivi. Daten von Dritten werden von uns nicht verwendet. • Social Media und externe Drittsysteme: Wir nutzen Social-Media-Tools und Dienste von anderen Anbietern. Unter anderem um das Teilen von Inhalten zu ermöglichen.
Du kannst entscheiden, für welche Zwecke wir deine Daten speichern und verarbeiten dürfen. Dies betrifft nur dein aktuell genutztes Gerät. Mit "Zustimmen" erklärst du deine Zustimmung zu unserer Datenverarbeitung, für die wir deine Einwilligung benötigen. Oder du legst unter "Einstellungen/Ablehnen" fest, welchen Zwecken du deine Zustimmung gibst und welchen nicht. Deine Datenschutzeinstellungen kannst du jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in deinen Einstellungen widerrufen oder ändern.