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Unruhen in Frankreich:Sind Krawalle auch in Deutschland möglich?
von Katharina Schuster
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Seit mehreren Tagen kommt es in Frankreich zu Krawallen. Der Auslöser: ein tödlicher Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen. Sind solche Unruhen auch in Deutschland möglich?
Sehen Sie hier das ZDFheute live zu den Ausschreitungen in Frankreich in voller Länge.03.07.2023 | 29:55 min
Sie randalieren, plündern, stecken Autos in Brand - nach dem Tod des 17-jährigen Nahel durch eine Polizeikugel durchzieht Frankreich eine Welle der Gewalt. Zwar entspannt sich die Lage langsam, auch weil die Großmutter des getöteten Jungen zur Ruhe aufgerufen hat.
Doch Entwarnung ist weiter nicht in Sicht. Auch heute Nacht werden wieder Krawalle erwartet. Kann es zu solch massiven Ausschreitungen auch in Deutschland kommen?
Wie wahrscheinlich ist eine Eskalation von Protesten in Deutschland?
"Die Gewalt ist in Deutschland schon allgegenwärtig", sagt Politikwissenschaftlerin Emilia Roig im ZDF. Durch rechtsextremistische Parteien seien große Teile der deutschen Bevölkerung bedroht. "Das ist eine akute Gefahr, die aber weniger ernst genommen wird", macht Roig klar. Polizeigewalt und Rassismus seien auch in Deutschland präsent.
Für Konfliktforscher Andreas Zick ist "das, was wir in Frankreich sehen, ein Warnsignal". Allerdings warnt er vor direkten Vergleichen. Auch in Deutschland habe es Proteste gegen Polizeigewalt gegeben, aber diese seien zivil abgelaufen. "Schnelle Parallelen zu ziehen, da würde ich vor warnen", sagt Zick.
"Wir hatten auch in Deutschland Proteste während der Corona-Pandemie, die blieben aber lokal und die konnten befriedet werden, weil wir starke zivilgesellschaftliche Kräfte haben, die dann eine Stimme geben für die missachteten Gruppen", stellt Zick fest. Das sei in Frankreich nicht der Fall.
"Die politische Identität einer missachteten Jugend, die unter vielen sozialen Repressionen leidet und ein gespaltenes Verhältnis hat zu Polizei und zum Staat, hat sich über Jahre entwickelt", sagt Zick. "Und dieses Faktoren-Gemisch sehen wir in Deutschland nicht." Dennoch stellt er fest:
Welche Rolle spielt die soziale Spaltung?
Wut sei gerade bei jungen Menschen spürbar, sagt Politikwissenschaftlerin Roig, die selbst in einem Paris Vorort aufwuchs. Das liege zum einen an einer Verschränkung von Krisen - Klimakrise, Polizeigewalt, soziale Ungerechtigkeit. Zum anderen würden junge Menschen viel mehr Möglichkeiten haben, ihre Wut zum Ausdruck zu bringen.
Über Jahrzehnte seien große Teile der französischen Bevölkerung nicht gehört worden, so Roig.
Diese Wut der "Unerhörten" äußere sich in Gewalt.
Roig sieht zwei zentrale Ursachen für die Proteste in Frankreich:
- Jahrzehnte der sozialen Ungerechtigkeit
- unzureichende Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und Gegenwart
Welche Gefahr geht von Rechtsextremisten aus?
Jugendprotest, der sich in Gewalt äußert, erkenne man vor allem im Bereich des Rechtsextremismus, sagt Zick. "Wir übersehen viel ideologisch motivierte Gewalt, vor allem im Bereich des Rechtsextremismus", sagt der Konfliktforscher.
"Ich finde es interessant, dass die Wut von AfD-Wählern in Deutschland oder Wählern von rechtspopulistischen Parteien überall in Europa ernst genommen werden", stellt Politikwissenschaftlerin Roig fest.
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Was muss getan werden, um Gewalt in Deutschland zu vermeiden?
Entscheidend sei zu überlegen, wie die Jugend in Zeiten von Krisen aufwachsen könne, sagt Konfliktforscher Zick. Eine rein strafrechtlich-orientierte Politik sei keine Lösung. In Frankreich seien zudem viele junge Menschen Nichtwähler. Dieses Phänomen könne man auch in Deutschland sehen.
Es brauche:
- bessere Jugendarbeit
- Demokratie- und Politikbildung
- kein vorschnelles Verdächtigen migrantischer Communities
- Gewaltprävention vor Ort
Dass es in Deutschland eine organisierte Basis für politisch-motivierte Gewalt migrantischer Menschen gebe, sei unbelegt, sagt Andreas Zick. "Migrantische Communities sollten wir nicht verdächtigen, sondern sie stärken, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren."
Quelle: ZDF
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