Zwangsaussiedlung in der DDR: Opfer kämpfen bis heute
Zwangsaussiedlung in der DDR:Zeitzeugin: "Man hat uns die Würde genommen"
von Mona Trebing
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35 Jahre nach der Wiedervereinigung leiden noch immer viele unter den Folgen des SED-Unrechts. Künftig sollen Opfer besser unterstützt werden. Viele haben lange dafür gekämpft.
Marie-Luise Tröbs wurde als Zehnjährige mit ihrer Familie zwangsausgesiedelt.
Quelle: ZDF
Es ist der 3. Oktober 1961, ein scheinbar gewöhnlicher Dienstag. Familie Wagner wohnt in Geisa - ein kleiner Grenzort in Thüringen, Sperrgebiet. Ihr Wohnhaus ist nur einen Katzensprung von der Kirche entfernt. Die damals zehnjährige Marie-Luise will nach dem Morgengottesdienst noch schnell ihren Schulranzen zu Hause abholen, bevor der Unterricht startet. Doch als sie nach Hause kommt, wird dieser bislang so gewöhnliche Dienstag zum wohl prägendsten Tag ihres Lebens.
"Nur fremde Menschen im Haus. Und dann hieß es, ihr geht heute nicht in die Schule", erinnert sich die heute 73-jährige Marie-Luise Tröbs, geborene Wagner. Vor der Tür stand ein Lkw. Auf den luden DDR-Polizisten willkürlich einige wenige Habseligkeiten der Wagners, dann wurde die Familie aus ihrem Zuhause vertrieben.
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Zwangsumsiedlung in der DDR: 12.000 Menschen betroffen
Marie-Luise, ihre Eltern und die beiden jüngeren Brüder wurden zwangsausgesiedelt - vom SED-Regime. Wie ihnen erging es vielen Bürgerinnen und Bürgern der DDR. Unter anderem aufgrund ungeprüfter Denunziationen, vermeintlicher oder tatsächlicher Regimekritik verloren sie Haus und Hof. Insgesamt rund 12.000 Menschen, die in Grenzgebieten lebten und als "politisch unzuverlässig" galten. Die erste große, generalstabsmäßig angelegte Operation fand im Juni 1952, die zweite im Oktober 1961 statt.
Punktuell seien Menschen ausgewählt worden, die zumeist angesehen waren und Besitz hatten, so Tröbs, die seit 2008 Präsidentin des Bundes der in der DDR Zwangsausgesiedelten e.V. ist, zu ZDFheute. "Die wurden enteignet", was zur Abschreckung und Disziplinierung der restlichen Bevölkerung dienen sollte, ergänzt sie. "Man hat uns die Würde genommen."
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Marie-Luise Tröbs: "Meine Kindheit war über Nacht zu Ende"
Ihre Familie wurde ins etwa 100 Kilometer entfernte Ilmenau gebracht. Statt eigenem Haus nur eine kleine Wohnung, die meisten ihrer Möbel und persönlichen Gegenstände, zurückgelassen. Eine Kaffeemühle und ein Puppenkleid konnte die zehnjährige Marie-Luise am Körper verstecken.
Eine Kaffeemühle und ein Puppenkleid - Erinnerungen an das einstige Zuhause.
Quelle: ZDF
Durch diese Entwurzelung, den Verlust der Heimat und die Trennung von Verwandten sei ihre Kindheit über Nacht zu Ende gewesen.
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Zwangsaussiedlung: Ein SED-Unrecht, das kaum jemand kennt
Noch heute fällt es ihr schwer, über das Erlebte zu reden. Ein SED-Unrecht, das nur wenigen bekannt ist. Für dessen Anerkennung aber viele, auch 35 Jahre nach dem Ende der DDR, noch kämpfen.
In ihren Regalen stapeln sich die Akten - Fallbeispiele, Korrespondenzen mit Bundespräsidenten, Bundestagsabgeordneten, Lokalpolitikern aus den letzten Jahrzehnten. Ihre Eltern und ein Großteil aus deren Generation sind mittlerweile verstorben. In ihrem Namen weiterzumachen, sei ein Ansporn gewesen.
Opfer von politischer Verfolgung in der DDR leiden oftmals bis heute unter den Folgen. Bestimmte Gruppen haben Anrecht auf staatliche Unterstützung. So bekommen aktuell etwa 38.000 Betroffene eine Opferrente - beispielsweise ehemalige politische Gefangene. Zwangsausgesiedelte allerdings erhielten bislang keine finanzielle Unterstützung vom Staat.
Im Frauengefängnis Burg Hoheneck im sächsischen Stollberg waren zu DDR-Zeiten rund 24.000 Häftlinge inhaftiert. Heute wird das Frauengefängnis als Gedenkstätte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eröffnet.11.07.2024 | 1:41 min
Bundestag stimmt über Verbesserung für SED-Opfer ab
Das soll sich jetzt ändern. Noch vor der Neuwahl haben sich SPD, Grüne, Union und FDP auf eine verbesserte Unterstützung für SED-Opfer geeinigt. Der Bundestag soll heute über den gemeinsamen Gesetzentwurf abstimmen. Darin enthalten ist unter anderem die Erhöhung der SED-Opferrente, eine erleichterte Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden sowie eine Einmalzahlung für Opfer von Zwangsaussiedlungen in Höhe von 7.500 Euro - ein Novum.
"Durch die geplanten deutlichen Erhöhungen mehrerer zentraler Leistungen für SED-Opfer wird die häufig prekäre soziale Lage der Opfer der SED-Diktatur nun spürbar stabilisiert", sagt Niels Schwiderski, Leiter der Geschäftsstelle der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag auf Nachfrage von ZDFheute. Auch der Thüringer Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Dr. Peter Wurschi, hält die Änderungen für einen großen Erfolg.
135.000 sogenannte schwer erziehbare Kinder und Jugendliche wurden in DDR-Spezialheime eingewiesen, etwa in Torgau. Eine Ausstellung soll an die Schicksale der Menschen erinnern.23.11.2024 | 1:45 min
"Historischer Moment" für Opfer
Er betont jedoch, dass das erlebte Leid der Opfer nur schwer monetär abzugelten sei.
Marie-Luise Tröbs reist nun nach Berlin. Sie will bei "diesem historischen Augenblick" der Anerkennung ihres und des Leides von etwa 12.000 Zwangsausgesiedelten persönlich im Bundestag dabei sein. "Dann werde ich es auch fassen können, dass der Kampf erfolgreich ausgegangen ist."
Mona Trebing ist Reporterin im ZDF-Studio in Erfurt.
Quelle: dpa
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