Söder im ZDF-Sommerinterview: Weniger Schutz für Geflüchtete?

    Faktencheck

    Söder im Sommerinterview:Weniger Schutz für Geflüchtete - geht das?

    von Peter Aumeier, Elisa Miebach
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    Markus Söder fordert mehr Ausweisungen von syrischen und afghanischen Flüchtlingen. ZDFheute mit einem Faktencheck zum Sommerinterview.

    "Berlin direkt - Sommerinterview": Markus Söder und Shakuntala Banerjee sitzen sich zum Gespräch an einem Tisch gegenüber.
    Das ZDF-Sommerinterview mit CSU-Chef Markus Söder in voller Länge.14.07.2024 | 19:43 min
    Das Thema Migration steht im Mittelpunkt des ZDF-Sommerinterviews mit dem CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. ZDFheute liefert Kontext zu wichtigen Fragen.

    Söder: "Kaum mehr Asylverfahren"

    Bei uns ist es ja tatsächlich so, dass kaum mehr Asylverfahren durchgeführt werden.

    Das behauptet Söder im Interview mit Shakuntala Banerjee. So geht es darum, wie viele Menschen als Flüchtlinge anerkannt werden, und wie viele Menschen sogenannten subsidiären Schutz bekommen.
    Bei jedem Asylantrag prüft das Bundesamt auf Grundlage des Asylgesetzes, ob eine der vier Schutzformen - Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot - vorliegt.
    Asylrecht genießen in Deutschland laut Grundgesetz politisch Verfolgte. Subsidiären Schutz erhalten Menschen, die begründen können, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, etwa Todesstrafe oder Folter. Auch ein allgemein hohes Risiko, etwa durch bewaffnete Konflikte kann ausreichen, um subsidiären Schutz zu erhalten.
    Nancy Faeser (SPD, l-r), Bundesministerin für Inneres und Heimat, Andy Grote (SPD), Innensenator von Hamburg, Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern, Michael Stübgen (CDU), Innenminister von Brandenburg.
    Schwerkriminelle und islamistische Gefährder aus Afghanistan und Syrien sollen künftig in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.21.06.2024 | 1:24 min
    Betrachtet man die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, wurden von Januar bis Juni 2024 insgesamt 20.476 Entscheidungen nach Rechtsstellung als Flüchtling (§ 3 Abs. 1 AsylG, Art. 16a GG) getroffen. In der Rubrik Flüchtlinge wurden in diesem Zeitraum 919 Menschen als Asylberechtigte (Art. 16a GG und Fam.Asyl) anerkannt. Dagegen stehen 42.627 Entscheidungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz (gem. § 4 Abs. 1 AsylG).
    Bei der Bewertung der Zahlen kommt es also darauf an, welche Kategorie zugrunde gelegt wird: Betrachtet man nur die Zahl der Anerkennung als Asylberechtigter mit 919 gegenüber der Zahl mit subsidiärem Schutz (42.627), so ist die Formulierung von Markus Söder ("kaum Asylverfahren") nachvollziehbar.

    Berlin direkt mit Daniel Pontzen
    Quelle: ZDF

    Nach den Sommerinterviews starten wir am Sonntag, den 15. September wieder mit "Berlin direkt". Schwerpunkte sind die wirtschaftliche Situation und der Streit um die Migrationspolitik - dazu führt Daniel Pontzen ein Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz.

    Söder fordert Ausweisungen nach Syrien und Afghanistan

    Söder sagt, es brauche Ausweisungen:

    Und die Ausweisungen müssen auch stattfinden in Länder wie Afghanistan und Syrien.

    Der Vorsitzende der CSU sagt: "Wir verschanzen uns hinter irgendwelchen Rechtsargumenten, die meiner Meinung nach so nicht zutreffen."
    Flüchtlinge warten an der Landesaufnahmebehoerde in Braunschweig
    "frontal spezial" mit dem Thema Migration, das laut "ZDF-Politbarometer" für die Bevölkerung in Deutschland das dringendste Problem ist.04.06.2024 | 44:49 min
    Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat sich damit beschäftigt: zum einen mit Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien aus Deutschland und zum anderen mit der Ausweisung von straffällig gewordenen Flüchtlingen nach Afghanistan und Syrien im Lichte des Völkerrechts. Fest steht, es kommt nicht nur auf die deutsche Rechtsprechung, sondern auch auf die europäische an. Änderungen im deutschen Asylrecht, etwa zur Ausweisung straffälliger Flüchtlinge, müssen mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vereinbar sein.
    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt klar, dass Artikel 3 der europäischen Menschenrechtskonvention eine Ausweisung oder Abschiebung verbietet, wenn es ernsthafte Anhaltspunkte gibt, dass der Ausländer dort "einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, gefoltert, unmenschlich behandelt, bestraft oder getötet zu werden", so der Wissenschaftliche Dienst.
    Das Fazit im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes: "Letztlich handelt es sich zwar immer um eine Einzelfallentscheidung, aber aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan dürfte Artikel 3 der EMRK [Europäische Menschenrechtskonvention] etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen."
    In der großen Mehrheit der Fälle, ist es also derzeit rechtlich nicht möglich, Menschen aus Syrien und Afghanistan auszuweisen. Es wird dennoch in jedem Einzelfall geprüft, ob nicht trotz der humanitären Lage bei bestimmten Personen eine Abschiebung zulässig ist. In den wenigen deutschen Gerichtsverhandlungen zu Einzelfällen afghanischer Geflüchteter sind die Oberverwaltungsgerichte sich uneins.
    Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan stehen jedoch nicht nur vor hohen rechtlichen Hürden, sondern auch vor praktischen.
    Termine der ZDF-Sommerinterviews 2024:

    Söder: "Mit Afghanistan und Syrien reden"

    An einer Stelle des ZDF-Sommerinterviews spricht Söder davon, dass Deutschland mit Ländern wie Afghanistan und Syrien über Ausweisungen reden müsse. Der CSU-Vorsitzende sagt dazu wörtlich:

    Deswegen muss die Bundesregierung auch bei Rückführungen mit diesen Ländern endlich reden und nicht das Gespräch verweigern.

    Mit den in Afghanistan regierenden Taliban unterhält die Bundesrepublik derzeit gar keine offiziellen diplomatische Beziehungen. Die Bundesregierung erkennt die de-Facto Regierung der Taliban bisher nicht an und arbeitet nicht mit ihr zusammen, auch wenn das Auswärtige Amt angibt, auf technischer Ebene punktuell und in Einzelfällen Kontakt gehabt zu haben.
    Hüber: Es gehe "um Hasspropaganda"
    Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Sven Hüber, begrüßt den Gesetzentwurf zur Ausweisung nach Terrorverherrlichung: "Wer zu Hass aufruft, ist fehl hier im Lande."27.06.2024 | 5:15 min
    Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 unterstützt der Bund keine Rückführungen nach Afghanistan aufgrund der allgemeinen und politischen Lage. "Etwaige Rückführungen werden sich die Taliban mindestens durch internationale Anerkennung bezahlen lassen wollen", so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.
    Offizieller Ansprechpartner für Abschiebungen nach Syrien wäre die syrische Regierung. Der deutschen Justiz ist bekannt, dass der syrische Sicherheitsapparat foltert. So könnten abgeschobene Straftäter auch für Assad ein Druckmittel sein, um von Deutschland Geld und Anerkennung zu erpressen.
    Bisher gibt es also gar keine Ansprechpartner beim Thema Rückführungen nach Syrien oder Afghanistan.
    Asylrechtsexperte Kay Hailbronner, Professor an der Universität Konstanz, wird in dieser Frage in der aktuellen Ausgabe der Welt am Sonntag zitiert: "Praktisch werden Abschiebungen in Länder wie Afghanistan oder Syrien bei unveränderten rechtlichen Bedingungen regelmäßig scheitern. Ausnahmen in Einzelfällen tragen allenfalls zur Imagepflege eines vermeintlich energischen politischen Handelns bei."
    Peter Aumeier und Elisa Miebach sind Redakteure im ZDF-Landesstudio Bayern.

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