Erstmals gewinnt die AfD eine Oberbürgermeisterwahl in Deutschland. Im sächsischen Pirna erreichte Tim Lochner im zweiten Wahlgang einen Stimmenanteil von 38,5 Prozent.18.12.2023 | 2:01 min
Die Freien Wähler kritisierten die
CDU scharf für ihr Festhalten an einer eigenen Kandidatin im entscheidenden zweiten Wahlgang. Damit hätten die Christdemokraten "bewusst in Kauf genommen, für die AfD den Steigbügelhalter zu spielen", erklärte der sächsische Landesvorsitzende der Freien Wähler, Thomas Weidinger. Er warf der CDU "Machterhaltungstrieb" vor.
Grüne Jugend: Fatales Zeichen
Die Grüne Jugend Sachsen bezeichnete den AfD-Erfolg bei der Oberbürgermeisterwahl als "fatale antidemokratische Entwicklung". Der Sieg eines AfD-Oberbürgermeisterkandidaten hätte in dieser Form niemals passieren dürfen, erklärte der Sprecher der Grünen Jugend Sachsen, Phil Sieben.
Es ist ein katastrophales Zeichen, dass nur wenige Tage, nachdem der sächsische Landesverband der
Alternative für Deutschland als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, der erste AfD-Oberbürgermeister Deutschlands gewählt wurde.
Im Juli gewann ein AfD-Kandidat im sachsen-anhaltinischen Raguhn-Jeßnitz erstmals ein hauptamtliches Bürgermeisteramt.03.07.2023 | 1:54 min
Internationales Auschwitz-Komitee: "Bitteres Signal"
Das Internationale Auschwitz Komitee reagierte indes mit Sorge auf das Wahlergebnis. Es sei "ein bitteres Signal an alle Repräsentantinnen und Repräsentanten der demokratischen Parteien", erklärte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner. Dies sei möglich, wenn sich die demokratischen Parteien nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könnten und der AfD und ihren Wählerinnen und Wählern das Feld überlassen.
Das "bittere Signal" der Wahl in Pirna gelte ebenso allen Nichtwählerinnen und Nichtwählern, die die Demokratie durch ihre Haltung aufgegeben hätten und "für dieses Wahlergebnis Mitverantwortung tragen", sagte Heubner.
NS-Verbrechen in Pirna-Sonnenstein
Mit Blick auf die NS-Zeit sagte Heubner, auch Pirna sei für Überlebende von NS-Verbrechen "ein wichtiger Ort auf der Landkarte ihrer Schmerzen, der sie für immer an die Mordtaten und Gaskammern der Nationalsozialisten erinnern wird".
Dass die Stadt des Gedenkens nun als erster Ort in Deutschland von einem AfD-Oberbürgermeister repräsentiert werden wird, sei für sie "nur schwer erträglich". In Pirna-Sonnenstein hatten die Nationalsozialisten 1940 und 1941 in der Heil- und Pflegeanstalt fast 14.000 vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet.
Linke, SPD und Grüne verzichteten im zweiten Wahlgang auf Kandidatur
Mit Lochner stellt die AfD bundesweit erstmals einen Oberbürgermeister. Er setzte sich im zweiten Wahlgang am Sonntag laut vorläufigem Ergebnis mit 38,54 Prozent der Stimmen gegen den Kandidaten der Freien Wähler, Ralf Thiele, sowie
CDU-Bewerberin Kathrin Dollinger-Knuth durch. Das südöstlich von Dresden am Elbsandsteingebirge gelegene Pirna hat 40.000 Einwohner.
Den ersten Wahlgang am 26. November hatte Lochner vor dem zweitplatzierten Thiele und der drittplatzierten Dollinger-Knuth gewonnen. Ebenfalls ins Rennen gegangene Kandidaten von
Linken,
SPD und
Grünen verzichteten danach zugunsten der CDU-Kandidatin auf eine neue Kandidatur in der zweiten Runde.
ZDF-Politbarometer vom 15.12.2023.
Quelle: zdf
Mit der Wahl Lochners besetzt die AfD deutschlandweit nun zwei kommunale Spitzenposten. Im Juni gewann der
AfD-Politiker Robert Sesselmann im thüringischen Kreis Sonneberg erstmals einen Landratsposten für die Partei.
Der sächsische Landesverfassungsschutz stufte die AfD im Freistaat in der vergangenen Woche als gesichert rechtsextremistisch ein. Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist die sächsische AfD bereits der dritte Landesverband der Partei mit einer solchen Einstufung.
Lochner ist Mitglied der AfD-Fraktion im Stadtrat von Pirna, jedoch nicht selbst Parteimitglied. Er betreibt eine Tischlerei. Lochner trat bereits 2017 bei der Oberbürgermeisterwahl an, scheiterte damals aber klar gegen den bisherigen Amtsinhaber Klaus-Peter Hanke (parteilos), der bei der aktuellen Wahl aus Altersgründen nicht wieder antrat.
Quelle: epd, AFP