Politologe zum Ampel-Streit: "Fatales Eigentor" der Grünen
Interview
Politologe Albrecht von Lucke:Ampel-Streit: "Fatales Eigentor" der Grünen
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Neuer Zoff in der Koalition: Dass die Grünen jetzt einen Streit mit der FDP vom Zaun brechen, hält Politologe Albrecht von Lucke für eine "Revanche" - und ein "Desaster".
Die Blockade eines Gesetzes zu Steuererleichterungen für Unternehmen durch Grünen-Familienministerin Lisa Paus belastet die Ampel direkt nach der Sommerpause. Dabei geht es um ein Gesetz, das im Kern in der Koalition unumstritten ist und das der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck schon abgesegnet hatte.
Der Berliner Politik-Experte Albrecht von Lucke spricht im ZDFheute journal von einem "Eigentor" für die Grünen. Die Partei schade sich damit letztlich nur selbst.
Sehen Sie das ganze Interview oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Albrecht von Lucke...
... zu den Folgen des neuen Streits für die Grünen:
Es sei "fatal", was sich die Grünen "als Eigentor angetan haben", so von Lucke. "Es ist ein Stückweit die Revanche, die Enttäuschung vor allem seitens der linken Grünen, die erlebt haben, dass die FDP ihnen regelmäßig Knüppel zwischen die Beine geschlagen hat". Als Beispiel nannte von Lucke das Gebäudeenergiegesetz, als die FDP massiv gegen die Grünen geschossen habe. "Da ist der Frust riesig."
Der Versuch jedoch, "auf diese harte Weise die FDP auszubremsen, schadet letztlich nur der grünen Partei selbst", sagt der Politologe.
Und über alle dem throne ein Kanzler, der schweige und versprochen habe, dass es besser werde. Aber es gehe genauso weiter wie vor der Sommerpause.
... zum Hintergrund und den Motiven für den neuen Zoff
Die Kindergrundsicherung sei der Versuch der Grünen gewesen, auf dem Feld des Sozialen "auch einen Punkt zu machen". Die Kindergrundsicherung sei sozusagen ihr "Essential" gewesen.
Dass alles unter der Prämisse stehe "zuallererst die Wirtschaft" - das sei die große Sorge der Grünen, so von Lucke. "Und die ist nicht unberechtigt."
Dass sie aber so in die Öffentlichkeit träten und ein Gesetz, das auch Robert Habeck mittrage, boykottieren, sei "natürlich fatal, weil sie damit genau das Gegenteil erreichen von dem, was sie wollen: Zustimmung für ihre Projekte, die jetzt in Ablehnung umschlagen."
... zu einem möglichen Flügelstreit bei den Grünen
Der Politologe sieht bereits einen Flügelstreit in der Partei: "Das ist deutlich geworden. Es ist vor allem die linke Seite, die jetzt wesentlich vehementer vorgehen will. Da ist die Enttäuschung besonders groß", sagt Albrecht von Lucke. Man habe auch einen gewissen Zweifel daran, dass Robert Habeck manchmal nicht scharf genug verhandele. Daher habe es jetzt auch Zustimmung etwa von Steffi Lemke gegeben.
"Aber verkannt wurde seitens der Linken bei der Grünen, wie negativ das zu Lasten der eigenen Seite ausschlägt." Es gebe zwar jetzt den Versuch der Schadensbegrenzung. "Aber der Schaden ist angerichtet."
... zum Verhalten von Kanzler Scholz
Ein "Machtwort" ist für von Lucke nicht das passende Prinzip. Es gehe im Kern um etwas anderes: "Wir hatten eine lange Sommerpause. In dieser Sommerpause hätte längst im Hintergrund das Gespräch stattfinden müssen, wie sich drei Parteien endlich im Vorfeld eines Gesetzes einigen."
Dass dieses wieder nicht gelungen sei und auch das Versprechen von Kanzler Olaf Scholz (SPD), dass alles besser werde, nicht eingelöst wurde, "das fällt jetzt auf ihn zurück". Und, so der Politologe: "Auch seine Reputation nimmt Schaden."
Der Kanzler müsse vor der Klausurtagung in Meseberg die Koalition befrieden. Und dafür sorgen, dass Gesetze im Vorfeld abgesprochen würden und alle Parteien dazu stehen. "Dann kann es besser werden. Sonst wird diese Koalition im Desaster enden."
Dennoch ist von Lucke überzeugt, dass die Regierung bis zum Ende durchhalten werde. Gerade, weil sonst alle drei Parteien verlieren würden.
In der Bevölkerung werde jedoch der Eindruck wachsen: "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende'. "Insofern ist das, was die Koalition macht, völlig kontraproduktiv. Und sie wird so wahrscheinlich in der Bevölkerung immer mehr verlieren."